„Bald
sind wir eingeschneit“, haben wir gestern Abend beim ausgelassenen Spielen noch gewitzelt und schon mal geschaut, wie lang unsere Vorräte reichen würden. Doch die Stimme der Vernunft kennt den
Wetterbericht und weiß: Die Zeiten schneereicher Winter sind um, worin der Frost über viele Wochen die Welt erstarren ließ. Ich erinnere mich noch an Winter… Selbst der Winter, in dem ich geboren
wurde, war klirrend kalt. Doch das ist lange her. Wir alle wissen, morgen wird es schon wieder tauen… Wie sehr es tauen würde, wussten wir da noch nicht. Kurz nach unserer Abreise gab es hier
katastrophenähnliche Überflutungen von Tauwetter und Regen...
Zwischen hohen dunklen Tannen standen einst im Schwarzwald zahlreiche „Waldglashütten“. Dort fertigten geschickte Glasbläser unter Verwendung von Quarzsand aus den Bächen und Pottasche meist grünlich aussehende Glaswaren, welche oft dickwandig und mit Noppen verziert waren. Unmengen Holz wurde dazu verfeuert und so entstanden weite gerodete Flächen, auf denen sich Siedlungen bildeten. Wenn der Wald verbraucht war, zog die Glashütte einfach weiter. 1634 wurde so Altglashütten gegründet. 1706 verlegte man die Glashütte nach Neuglashütten.
Mit Kulleraugen betrachte ich die Wunderwelt der gläsernen Fabelwesen, die den kleinen Raum des Glasbläsermuseums wie eine Invasion bevölkern. Es ist, als habe das Glasmännlein aus Hauffs Märchen „Das Kalte Herz“ hier den kristallenen Zauberstab geschwungen, um dann rasch und durchsichtig mit seinen krummen Beinchen und dem strohgelben Haar unter der Zipfelmütze in einer hohlen Tanne zu verschwinden.
Der Meister sitzt konzentriert an seiner Werkbank und formt mit geübten Händen aus langen Rohlingen ein Objekt vor dem Flammenstrahl aus dem offenen Gasbrenner. Die Frauen stehen vor den herrlichen Schmuckwaren aus farbigem Glasfluss, welcher durch Zugabe von Kupfer (rot), Eisen (grün), Kobalt (blau) und Chrom (gelb) entstehen. Hier steckt in Jahrzehnten stetig ausgeübte Meisterschaft drin.
Ich bin vor allem von den Fotoarbeiten angetan, welche den Glasfluss nach Zugabe von Farben – im Fließmoment erstarrt – darstellen. Dynamisch wirken sie, an Fotos vom Weltall erinnernd, oder vom Urknall, oder sonst einer geheimnisvollen Bewegung des Universums.
Der Blick aus dem Fenster vergewissert mir: Ich bin im Schwarzwald. Draußen wird es dunkel über den weiß gedeckten Dächern. Wie ist mir warm ums Herz (Fortsetzung folgt)
Es ist hart, wenn man nicht laufen kann. Mein ganzes Wesen will unter freiem Himmel sein und die Welt erkunden, durch den Schnee im Wald waten, Ausblicke genießen. Doch der kleine Spaziergang von
heute hat mir eklige Schmerzen beschert. Mein Bein will nicht. Irgendwie hab ich mir das an Ribbecks Grab geholt.
Ich komme ins Haus zurück und mein Bruder sitzt lässig lesend in einem Sessel am Kamin. Wie kann der nur so ruhig sein? Klar, er war Langlaufen heute früh. Mir fehlt dieser Workout. Ich setze
mich hin mit Hummeln im Hintern und guck mal, ob ich auch so relaxen kann wie er. Doch dann guck ich aus dem Fenster und sehe ich etwas ganz Faszinierendes. … (Fortsetzung folgt)
Es ist wie mit den süßen Zitronen aus „Peak Organics“ Die Reise nach Amaroo war unendlich süß und zugleich extrem sauer, was die Strapazen von Jetlag, Schlafmangel und Camping betraf. Ich bin froh, dass ich es unbeschadet überstanden habe,
Ist es euch aufgefallen? Ich habe kein Foto vom Amphitheater gezeigt. Auch habe ich nie über das dort Gehörte gesprochen. Meine Gedanken darüber behalte ich erst recht für mich. Über meine 36 Stunden in einem Hotel in Brisbane und meine Heimreise gibt es nichts zu sagen, außer dass ich ausruhte, eine Massage in Anspruch nahm und einem roten Kater begegnete, die mir auf Schritt und Tritt folgte.
Gern wäre ich noch zum Lone Pine Koala Sanctuary
gefahren. Die Verbindungen von meinem Airport Hotel waren gut. Doch ich hatte keine Kraft mehr. Seit ich mir neulich Koala Docus auf Youtube angesehen habe, bin ich froh, dass ich an dem
touristischen Geschmuse enteigneter und fast ausgerotteter Wildtiere nicht teilgenommen habe.
Apropos Natur: Vor dem Hotel, das an einer Werft beim Brisbane River lag, standen Palmen. Doch das Vogelgezwitscher darin und das Treiben der Beuteltiere, die einander über die Äste jagten,
klangen wie das Krakeelen einer Street Gang, aufdringlich und nervig. Der Asphalt war von Datteln übersät. Auch das wirkte irgendwie schmutzig.
Auf der gesamten Rückreise habe ich jämmerlich gehustet und kein Auge zugetan. Doch mein Geist quoll über von Zukunftsplänen… Die Zwischenlandung in den Emiraten war unsympathisch. Keine kostenfreien Wasserstellen im Flughafen trotz extremer Hitze, zu wenig Toiletten, abweisender Service, zu viel Indoktrination. In Amsterdam gab es eine Verspätung, endlich wieder dunkles Brot und mir fiel ein, dass ich schon lange mal ins Van Gogh Museum wollte ...
Meine Frage zu Beginn dieses Berichts, warum ich mir zwei 40-Stunden Flüge und eine Woche Camping bei Temperaturschwankungen von 0° - 40°C zugemutet habe, beantworte ich so: Es ist, wie auf einen sehr hohen Berg zu steigen. Von dort oben hatte ich einen Blick auf mich und mein Leben, der durch nichts zu ersetzen ist und mir für die nächsten 5 Jahre Klarheit und Richtung gibt.
Danke fürs Lesen.
ENDE
(c) Text und Bilder: Brigitte Hallbauer
Fang immer mit dem Jetzt an. Zum Beispiel der Teich, das leere Partyzelt mit den gekippten Stühlen und den Kühlschränken, worin die Käseplatten vom Vorabend liegen. Die leeren Flaschen, die Gläser auf den Tischen. Ich hebe einen Stuhl auf uns setze mich hin.
Hin und wieder schlägt ein träger Windhauch das Zeltdach an das Stahlgerippe, KLACK… KLACK… eine lose Schnur macht KLICK KLICK. Der Berg steht still, während ich die Augen schließe, von Hustenanfällen unterbrochen. Das unhörbare Brüllen der Sonne außerhalb des Zeltes lässt die Welt stillstehen. Nur die Vögel machen ihr Ding.
Das letzte Mal habe ich heute Nacht ihren Stimmen gelauscht. Das ganze Camp ist heute voll Jubel. Überall sehe ich Gesichter voll stiller Zufriedenheit, treffe auf offene Blicke. Beschwingt gehen Menschen vorüber und grüßen freundlich.
Um 6 Uhr früh gehe ich zur Dusche zum Aufwärmen. Dort treffe ich die freudestrahlende Louise Labrosse. Wir verabschieden uns sehr herzlich und hoffen auf ein Wiedersehen.
Oh ja, ich fühle ich wohl im Zelt, sage ich und habe die schlaflosen Nächte vergessen. Auch das gequälte Stöhnen der Frau im Nachbarzelt hat aufgehört. Die ersten Sonnenstrahlen werfen lange Schatten und ein freundliches Licht, als ich im Café eine lange Unterhaltung mit Susan Margaret Pascoe habe. Wir verabschieden uns herzlich.
Im Pavilion decke ich mich nochmals mit Reiseproviant ein, begegne zwei Bekannten aus meiner Frankfurter Zeit zu einem Smalltalk. Alle sind körperlich am Limit. Keiner ist hier ein Weichei.
Im Geschenkeladen kaufe ich eine CD. Der Mann an der Kasse hat Tränen der Rührung in den Augen. Die Stimmung auf dem gesamten riesigen Camp ist Rührung und Ergriffenheit, so als habe man uns allen heimgeleuchtet… in unser ureigenstes menschliches Territorium… Freude.
Ich schwöre heilige Eide, mir treu zu bleiben und mich der nicht artgerechten Massenhaltung von Menschen in dieser verrückten Welt nicht zu unterwerfen. Ich nehme einen Schnorchel mit, mit dem ich Amaroo-Luft einatmen kann, Tag und Nacht.
Zurück ins Zelt. Packen. Noch eine Stunde ausruhen. Dann mit dem Koffer zum Storm Shelter. Da sitzen drei schweigsame Menschen auf Koffern und warten. Der Geländeshuttle sammelt im 30-Minuten-Takt die Abreisenden ein. Ich beschäftige mich fotografisch mit einem Eukalyptusriesen. Oh schade, da kommt der Shuttle, ein Kleinbus mit einem raubeinigen herzlichen Australier. Staubige Windböen pusten uns hinaus zum Gate von Ivory‘ s Rock. Dort steigen wir in den vollen Airport Shuttle. Eine Gruppe von Franzosen singt. Ich höre Englisch mit und ohne Akzent, schnatterndes Chinesisch, Spanisch, deutsch, Hindi. Viele Menschen laufen jetzt in diesen Peace-T-Shirts aus den Shops herum. Ich krame mein Souvenir aus dem Handgepäck. Ein Stoffbeutel mit einem krähenden Hahn drauf: AUFWACHEN!!(Fortsetzung folgt)
Vor der großen Hitze erkunde ich die Südseite des Geländes und entdecke die Farm. Ein bescheidener biologischer Garten, eingezäunt und dem Staub mit viel Wasser und Sachkunde abgetrotzt, der die ganze Woche über Peak Organics mit frischen Lebensmitteln versorgt hat. Hier kommen also die zuckersüßen Zitronen her, die ich so gern gegessen habe. Vor dem Garten hüpft eine Känguru Familie herum und guckt mich mit gespitzten Ohren an. Ein Gärtner lässt mich hinter den Zaun und zeigt mir die Beete. Salat, Möhren, Sellerie, es wirkt kärglich. Ein großes Schild warnt vor einer schwarzen Schlange, die hier gesichtet wurde. Ein Frosch hüpft durchs saftige Gras.
Der Garten wird von Ehrenamtlichen betrieben, die gerne hier sind und tun was sie können, doch es sei zu wenig, meint der Mann besorgt. An seiner Sprechweise erkenne ich, wie sehr er Amaroo liebt und schon seit vielen Jahren damit verbunden ist. Vor einem blühenden Baum lädt ein Stuhl zum Sitzen ein. Winzige Vögel nippen an den Blüten und eine ganze Horde von ihnen lässt den Baum schwirren und vibrieren. Jeder Gedanke in mir heißt: DANKE, DANKE und nochmals DANKE. Ohne Zeitgefühl lasse ich mich treiben und sehe in der Ferne flache Berge und Wälder unter dem klaren Himmel. Wieder ist es eine tief im Inneren empfundene Schönheit, die mich Zeit und Raum vergessen lässt. Ich verliere meine Armbanduhr. Als ich es bemerke, ist es mir völlig egal. Später erhalte ich sie zurück beim Lost and Found und freue mich sehr. Das geschieht nebenher. Hätte ich sie nicht wiedergefunden, wäre es nicht schlimm gewesen.
Die Moderatoren der letzten Veranstaltung um 16 Uhr sprechen ihren aufrichtigen Dank aus im Namen aller Anwesenden, Dank an das Land und an die Eingeborenen, die mit Muntambin (Ivory’s Rock) verschmolzen sind, jenseits unseres Begriffsvermögens. Sie danken all denen, die mithelfen oder spenden, um Amaroo instand zu halten.(Fortsetzung folgt)
Als ich abends ins Zelt zurückkehre ist der Kleiderständer umgefallen. Der Inhalt liegt kreuz und quer auf dem Bett, dem Boden, dem Koffer. Alles ist mit einer hauchdünnen Staubschicht überzogen.
Der Boden ist von trockenem Gras übersät, das ich mit meinen Schuhen hereingetragen habe, trotz der Fußmatte vor der Tür. Ich richte den Ständer wieder auf. Mit der Taschenlampe, zwischen die
Zähne geklemmt, räume ich die Sachen wieder ein und lege mich hin. Das Bett hat eine leichte Schieflage, sodass ich ständig leicht nach links abdrifte. Ich will schlafen. Doch ein erneuter
heftiger Windstoß nietet den Kleiderständer wieder um. Ich stehe auf, richte den Ständer wieder auf, lege etwas unter für einen stabileren Stand, und räume alles wieder ein ein. Der Staub lässt
mich husten. Der Staub ist allgegenwärtig. Er riecht leicht nach Zement, nach Verwesung, es liegt eine beißende Schärfe darin. Meine Schuhe sind von weißlichem Staub überzogen. Ich kämme Staub
aus meinen Haaren und schüttle ihn aus meinen Kleidern. Der Wind spielt mit dem Staub, wirbelt ihn auf, treibt seine beißenden Wolken hierhin und dorthin. Die Sonne entlockt ihm die Gerüche. Er
macht durstig auf kühles, klares, reines Wasser. Ich frage mich, wie auf diesem Staub Landwirtschaft gedeihen kann auf den umliegenden Höfen, an denen wir vorbeigefahren sind auf dem Weg
hierher.
Morgen ist der letzte Tag. Ich könnte bleiben. Ich könnte mich an die Hitze gewöhnen. Vielleicht würde ich irgendwann schlafen. Vielleicht würde ich aktiv werden und mitarbeiten bei der
Instandhaltung des Camps, im Garten oder den Shops. Doch morgen ist der letzte Tag.
Nur die Erinnerung bleibt. Doch auch die wird Staub ansetzen. Am Morgen ist der Kleiderständer wieder umgefallen. (Fortsetzung folgt)
Der Morgen dämmert mit gewohnter Eiseskälte. Ich krieche tiefer in den Schlafsack und ja, ich höre richtig. Es tröpfelt leise auf dem Zeltdach. Es ist nicht der Morgentau. Die Bäume rauschen. Ich trete hinaus und klatsche Applaus! REGEN!!! Wolken umschweben den finsteren Ivory’s Rock, von den Eingeborenen Muntambin genannt. Für den Stamm der Ugarapul wohnt im höchsten Berg des Teviot Range, dem Mt. Flinders, der mächtige Berggeist Yurrangpul, der heilige Stätten und Traditionen hütet. Ivory’s Rock ist die letzte und kleinste Kuppe der vulkanischen Bergkette und wurde nach dem schottischen Siedler James Ivory benannt, der hier im 19. Jahrhundert Schafzucht betrieb und Baumwolle anbaute. Das von ihm überlieferte Tagebuch ist heute ein wertvolles historisches Zeugnis.
Erleichtert ziehe ich warme Kleider an und nestle meinen
Regenschirm aus den Tiefen meines Koffers hervor. Schon bin ich wieder auf Erkundung im Gelände, flau im Magen, wacklig auf den Beinen, doch ich nutze die Morgenkühle und gehe ein paar Kilometer
einen Weg in den Wald hinein. Meine Kraft kommt jetzt aus Freude, Dankbarkeit, Neugier, Begeisterung, you name it… Ich bin weit jenseits meiner körperlichen Belastbarkeit. Doch es geht mir gut. Schon
bald wird es wieder sehr warm und Regenschirm plus Jacke werden zum lästigen Gepäck.
Ich sehe eine tote vertrocknete Kröte, ein Büschel staubige Minze, riesige Termiten, die sich durch den Sand arbeiten. Dann stehe ich vor einem Baum, den ein Blitz
ins Mark getroffen und verkohlt hat.
Erleichtert ziehe ich warme Kleider an und nestle meinen
Regenschirm aus den Tiefen meines Koffers hervor. Schon bin ich wieder auf Erkundung im Gelände, flau im Magen, wacklig auf den Beinen, doch ich nutze die Morgenkühle und gehe ein paar Kilometer
einen Weg in den Wald hinein. Meine Kraft kommt jetzt aus Freude, Dankbarkeit, Neugier, Begeisterung, you name it… Ich bin weit jenseits meiner körperlichen Belastbarkeit. Doch es geht mir gut. Schon
bald wird es wieder sehr warm und Regenschirm plus Jacke werden zum lästigen Gepäck.
Ich sehe eine tote vertrocknete Kröte, ein Büschel staubige Minze, riesige Termiten, die sich durch den Sand arbeiten. Dann stehe ich vor einem Baum, den ein Blitz
ins Mark getroffen und verkohlt hat.
Den ganzen Tag sorgt ein temperamentvoller Wind für Abkühlung. Er ist es, der die Wolken langzieht zu schneeweißen, klar umrissenen Bändern. Ich ruhe auf ihnen aus,
als ich später noch einmal in Stille im vollen Convention Center sitze. Das sind die kostbarsten Momente von Amaroo.
Es regnet nicht. Den ganzen Tag nicht. Doch die Hitze hat ein Erbarmen. Hat Yurrang, der grüne Baumfrosch, das Wetter gemacht? (Fortsetzung folgt)
"Ein ungewöhnlich heißer Tag. Eigentlich ist Frühling“, sagt die Australierin im Campground-Café. Flat White? Fragt sie. Flat White, sage ich und sie gießt im hohen Bogen Milch auf meinen Kaffee.
Er schmeckt nicht. Ich kann auch nichts essen. Eine Frau an meinem Tisch knabbert lustlos an irgendwas. Ihr geht es ähnlich. Die extreme Hitze, schon um 9 Uhr morgens, und meine körperliche
Verfassung lassen mich an die Reisekrankenversicherung denken, die ich kurz vor Abflug noch abgeschlossen habe. Gut gemacht, denke ich, denn ich bin besorgt. Mit einem nassen Handtuch über dem
Kopf und die immer volle Wasserflasche in der Hand marschiere ich langsam zum Amphitheater hinauf. Ich habe jetzt Kopfschmerzen und eine leichte Übelkeit … hm. Gegen Mittag habe ich doch ziemlich
Hunger und spucke Dutzende von Kernen aus zwei großen saftigen Mandarinen, die ich verspeise. Allein der Gedanke an richtiges Essen ekelt mich.
Ich öffne versehentlich das falsche Zelt, als ich mein Lager aufsuche, und nehme bei der Sanitär-Baracke gedankenlos eine fremde Wasserflasche mit. Einen Smalltalk mit einer Bekannten auf dem
Weg, empfinde ich als seltsam, fast wie betrunken höre ich mich an. Oder ist SIE komisch?
Mitten in der Nachmittagsveranstaltung melde ich mich bei meinem netten Platznachbarn aus Vancouver Island ab, drück mich diskret an den Sitzenden vorbei und verlasse das Amphitheater. Kurz
darauf laufe ich im Medical Tent auf und bitte um Hilfe. Man gibt mir ein Elektrolyt-Getränk und fragt, ob ich genug trinke. Doch es ist mehr die Schlaflosigkeit, die mich so mitnimmt. Die
Übelkeit wird unerträglich. Aus Platzgründen verweist man mich ins Special Needs Tent.
Dort liegen Dutzende erschöpfte Gäste auf Matratzen, nasse Tücher auf den Köpfen. Das Zelt ist übervoll. Die Air Condition rasselt. Es ist halb dunkel, angenehm kühl und schön dekoriert. Ich lege
mich auf die letzte noch freie Matratze unter den kühlen Wind der Air Condition und atme gegen die Übelkeit an. Irgendwer gibt mir eine Kotztüte. Ich hyperventiliere im Kampf gegen eine
beklemmende Atemnot. Eine Frau gibt mir Reiki. Ihre Hände und ihre ruhigen Worte helfen. Wie aus dem Nichts erscheint Denise Terrell. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Ich freue mich so, sie
wiederzusehen. Auch ihr macht die Hitze zu schaffen, doch sie hat eine erstaunliche mentale Widerstandskraft, angesichts derer ich mich augenblicklich straffe und aufrichte. Wir umarmen uns
lange.
Gegen 16 Uhr leert sich das Zelt. Alle pilgern wieder hinauf ins Amphitheater. Ich bleibe liegen und atme. Denise meint noch, ich könne die Kotztüte ja mitnehmen. Doch ich lehne dankend ab. Gegen
18 Uhr erbreche ich, zum rauschenden Applaus, der vom Pavilion rüber schwappt, wo man Geburtstag feiert… ohne mich. Gegen 23 Uhr im Zelt kann ich wieder essen. Als die Kookaburras den Höhepunkt
ihres Konzertes geben, fühle ich wieder warme Wellen von Dankbarkeit. (Fortsetzung folgt)
Mittags glühende Hitze. Ich nehme an einer besonderen Veranstaltung teil. Mit 200 Menschen sitze ich in einem geschlossenen Raum mit Air Condition. Welche Wohltat! Eine Stunde lang ist es absolut still. Ich reise nach innen, spüre und ruhe und lasse meine inneren Batterien aufladen. Danach setze ich mich auf einen der Plastikstühle unter einem Baldachin. Dort sitzen noch 5 andere. Ich kann mich jetzt nicht bewegen, denn ich will dieses wunderbare Gefühl festhalten. Vollkommen ruhig blicke ich auf die dürren Wiesen, Bäumen, den Seerosenteich mit dem Wald im Hintergrund und mir rollen leise Tränen übers Gesicht, weil das alles so unglaublich schön ist. Ich erlebe und erfahre, was ich sehe. Mein Herz steht sperrangelweit offen. Was ich empfinde ist pure Ergriffenheit angesichts der Schöpfung, innen wie außen.
Mir werden meine menschlichen Begrenzungen bewusst, die mich im Alltag von dieser Schönheit trennen, die immer da ist … egal wie die Umstände sind. Ich halte diese Begrenzungen für normal, hinterfrage sie nur noch selten. Doch heute scheinen sie von mir zu fallen. Ich fühle mich verbunden mit Gott und den Menschen, denn ich verschließe mich nicht hinter den handelsüblichen Barrikaden.
in Zeitlupe schleiche ich unter der heftigen Sonne zum Zelt und lege mich hin. Ich habe an den Schattenseiten die Fenster aufgerollt. Wo ist eigentlich meine Wasserflasche? Ich lese ein wenig und lausche dem Wind, gebe mich bei schweißtreibender Hitze ganz der Wandlung hin, die sich in mir vollziehen will. Immer wieder kommen mir die Tränen, als wolle die verschüttete Freude sich einen Löwenzahnweg bahnen durch den Asphalt kultureller Konditionierung…
Abends auf der Wartebank bei den Duschbaracke fülle ich meine Wasserflasche auf. Ich brauche jetzt nicht nur Wasser. Ich muss reden, oder ich platze. Also spreche ich eine der Frauen an, die hier an den Waschbecken stehen, in die Duschen gehen oder ihre Handys aufladen. Es ist Louise. Ich frage sie, ob sie mit ein paar Minuten zuhören kann. Sie freut sich und ist ganz Ohr. Ich erzähle ihr wie es mir geht und schon schüttelt es mich wieder volle Kanne. Sie hält mich an den Schultern, die zucken, als wollten sie alles abschütteln, was mich am Lebendigsein hindert. Alle Angst, alle Bitterkeit, allen alten Zorn. Louise weiß genau, was los ist. Sie erzählt von ihrem eigenen Prozess. Am Ende umarmen wir einander lange. Wir sind so dankbar, hier sein zu dürfen. Es scheint, als seien Liebe und Klarheit hier zu Hause, in Amaroo. (Fortsetzung folgt)
Nachts ist es still unter den Sternen. Doch tags spricht der Wind. Ich habe am Mittag die großen Zeltfenster aufgerollt an der Ost- und Nordseite, sodass der Wind von den Schattenseiten durchs überhitzte Zelt fächeln kann. Dort oben hockt schon lange ein großes Insekt auf dem Fliegengitter. Im letzten Abendlicht liege ich auf dem Bett und höre den Wind mit den losen Enden des Zeltes spielen. Die gespannten Flächen knattern, die geöffnete Zeltbahn der Tür streicht übers trockene Gras. Dort bläht sich eine Wand und hier zerrt eine Bö an den Ankern. Ein Abklingen, Erlöschen und jähes wieder Auffahren in allen Winkeln des dünnen starken Stoffs ergibt einen musikalischen Dialog zwischen Wind und Materie, die mich andächtig lauschen lässt. Ab 22 Uhr überzieht sich das Zelt mit triefendem Tau. Um ein Uhr früh sehe ich den Schatten eines Tiers vorbeischleichen, den das Mondlicht an die Zeltbahn wirft.
4:30 Uhr. Seltsam, es wird hell im Zelt, doch draußen ist es noch dunkel. Ich kann nicht schlafen und sitze in eine Decke gewickelt bei der Baracke mit den Duschen und Toiletten. Ich hatte einen unangenehmen Traum mit einer unangenehmen Wahrheit. Ich werde Schritte unternehmen, wenn ich zurück bin…. Im Busch rufen die Tiere einander zu. Das Schnattern und Keckern der Kookaburras in den Senken schwillt an und ebbt wieder ab um wiederzukehren in einem undurchschaubaren Rhythmus. Mit klammen Fingern schreibend, sehe ich die Sterne verblassen. Das heilige Schweigen tritt ein, das dem anbrechenden Tag vorausgeht. Die Kookaburras verstummen. Die Mondsichel steht wie ein „z“ und zuerst bin ich irritiert. Das bedeutet doch, dass er zunimmt. Wir gehen aber doch auf Neumond zu. Dann fällt mir ein, dass wir auf der südlichen Erdhalbkugel sind und daher wohl auch der Mond spiegelverkehrt am Himmel erscheint. Ich drehe einen Wasserhahn auf. Das Wasser kreiselt gegen den Uhrzeigersinn den Abfluss hinunter. (Fortsetzung folgt)
Scharen von Gästen pilgern durch sengende Hitze die Asphaltstraße hinauf zum überdachten Amphitheater.
Unterwegs biege ich ab und suche mir ein abgeschiedenes Plätzchen am Waldrand im Gras. Dort sitze ich eine Stunde lang einfach nur da und beobachte… die Ströme in meinem Inneren: Gedanken, sehr dominant, klar, Gefühle von Vorfreude, gespannter Erwartung, die Vogelstimmen im Wald, gelegentlich ein leiser Lufthauch in den Bäumen, und in meinem Inneren: das Rauschen des Blutes zum Puls meines Herzens, die zarte Schaukel … und tiefer… tiefer… gelegentlich blicke ich in den lichten Eukalyptuswald mit dem hohen dürren Gras und den rotbraunen Termitenhügeln, die hier und da aufragen wie aus Lehm gegossene Monumente. Man hat uns ernsthaft gewarnt, hohes Gras und den Wald zu betreten wegen der giftigen Schlangen und Spinnen, die es hier gibt. Ich genieße die Magie des Moments, da zu sein, in reiner Freude. Später bin ich hochkonzentriert und aufnahmefähig für die Veranstaltung, trotz großer Erschöpfung.
Als ich um 17 Uhr inmitten des Besucherstroms den Berg hinab Richtung Zelt eile, geht die Sonne unter, es ist, als liefen wir ihr hinterher, wie sie rasch hinter den Hügeln verschwindet und die Nacht ihr kaltes schwarzes Tuch über uns wirft wie der Tod. Doch in mir hat sich der Teil wieder aufgerichtet, der vorher mutlos am Boden lag. Die Tränen sind der Freude gewichen, einer wachen Neugier, einer kindlichen Faszination. Ich bin voller Energie…
(Fortsetzung folgt)
Um 9 Uhr entfaltet die Sonne wieder ihre gefährliche Hitze, die jede Bewegung verlangsamt, das Blut verdickt und ihre Alleinherrschaft über den Tag behauptet. Wasser wird jetzt unendlich wertvoll. Ich fülle meine kleine Plastikflasche von gestern an dem unscheinbaren Wasserhahn an unserer Duschbaracke. Wie froh bin ich, dass ich auf dem ganzen Gelände verteilt diese Zapfstellen für gefiltertes Trinkwasser finde, das ca. 4000 Menschen hier kostenlos zur Verfügung steht. Wie viel Arbeit muss es gewesen sein, all diese Leitungen zu legen und das Trinkwasser herzuleiten
Da es dunkel und kalt ist, kann ich
gar nicht anders, als um 19 Uhr schlafen zu gehen. Doch ich liege wach und lausche den Stimmen der Nacht. Ein Vogelschwarm irgendwo in einer Senke im nahen Wald schnattert, ein Gelächter, so
klingt es, das anschwillt, verebbt und wieder verstummt, dann wieder anhebt, einer geheimen Methodik folgend. Lange Zeit ist im Hintergrund ein feiner leiser Chorgesang zu hören. Melodien, welche
sich aus der Abfolge verschiedener Tierstimmen zusammensetzen wie ein einstudiertes Stück, eine Symphonie. In der kältesten Stunde, kurz vor Morgengrauen, setzt eine große Stille ein, als würden
die Tiere nun andächtig das Erscheinen der Sonne abwarten. Der ganze Ablauf hat rituellen Charakter, der einer eindeutigen bewussten Absicht zu folgen scheint. Ich erschrecke. Haben Tiere
bewusste Absichten? Durchgeplante rituelle Abläufe? Ich schlottere unter Schlafsack und Decken und zweifle, ob mein extremer Schlafentzug mir hier verfremdete Wahrnehmungen eingibt. Doch nein,
ich erhalte Einblick in die Ordnung der Natur, in die tiefe Absicht und Heiligkeit ihrer Zusammenhänge. Nichts ist darin zufällig.
Der abnehmende Mond wandert über die Kuppel der Nacht zum stillen Gesang der Sterne. Um drei Uhr gehe ich duschen, um mich aufzuwärmen, zeitlich desorientiert und hellwach. Die folgenden Stunden
döse ich zeitweilig weg. Klare Gedanken, klare Bilder meines Lebens tauchen auf. Wer ich bin und was mich ausmacht. Ich fühle ein nie zuvor erlebtes Gefühl von Identität, Schönheit und Würde,
fremd irgendwie und doch ganz und gar meins.
Im Zelt nebenan stöhnt eine Frau. Verwundert lausche ich den Seelenregungen der Träumenden, die sich hemmungslos ausdrückt. Es klingt fast wie Sex, ist es aber nicht. Ich höre eine staunende
Seele, hingegeben an den Strom des Unterbewusstseins, womöglich sorgen Angst und innerer Widerstand für die druckentlastenden Laute. Am Morgen sehe ich sie vor ihrem Zelt sitzen... (Fortsetzung
folgt)
Um 17 Uhr geht die Sonne unter, so schnell, als würde sie abstürzen. Um 18 Uhr ist es dunkel. Und wie schnell wird es kalt. Ich krame nach meiner Winterjacke und pack die Sonnenbrille weg. Auf einem Erkundungsgang über das Gelände habe ich eben ein paar Schönheiten mit der Kamera festgehalten. Überall im Hintergrund schaut die markante Kuppe des Ivory‘ s Rock hervor. Viele Male habe ich diese Bergnase auf Prospekten gesehen oder auf dem Hintergrund von Videoaufzeichnungen. Nun darf ich das alles selbst erleben. Doch ich bin nicht wegen des Berges gekommen…
Ich gehe auch nicht zum Ayers Rock, hab ich den Leuten gesagt, wenn ich gefragt wurde. Viele sind schon in "Down Under" gewesen und gaben mir Tipps. In der Tat könnte ich in Tasmanien Helen Burley besuchen, ich hätte das wirklich gern gemacht. Doch mein Vorhaben ist so privat, dass es meine ungeteilte Aufmerksamkeit braucht. Ich bereise das Australien meines Herzens. Es liegt im Mikrokosmos dieses Ivory‘ s Rock Convention Centre (IRCC), mit dieser feuchten, erdigen, staubigen, metholhaltigen Luft, dem Ibis, der in den trockenen Wiesen stochert, dem Berg, den Zeltstädten, dem Amphitheater, dem Busch mit seinen Tieren und den Pavillions. Ich lege die Hand auf die verschlungenen weißen Stammbündel eines Eukalyptusriesen. Gum Trees nennt man sie hier. Gelegentlich hocken auch Koalas drin, höre ich immer wieder von Einheimischen.
Im Pavilion gibt es eine Vielzahl von Verpflegungsstationen im Stil von Imbiss Restaurants auf hohem Qualitätsniveau. Dort stärke ich mich bei Anna an einem griechischen Stand mit Halwa und Eistee und wir tauschen einen „free hug“ dazu aus. Sie ist eine sensible warmherzige Griechin, die hier mit ihrem Gastronomiebetrieb „Salt and Feta“ die Besucher versorgt. Unter dem schattigen Dach komme ich mit Berthe aus Montreal in ein langes Gespräch. Wir haben viel gemeinsam.
Auf dem Rückweg ins Zelt schaue ich in den Nachthimmel und halte die Luft an. Wie nah sind die Sterne. Ich höre sie fast. Der Himmel ist eine Kuppel voller Energie und bildet ein untrennbares Ganzes mit der Erde. Als sei das ganze Universum eine riesige pulsierende Fruchtblase, geladen mit Energie … (Fortsetzung folgt)
ine Stunde lang schaukelt der voll besetzte Bus über den Motorway durch dürres Land, trockene Bachbetten, tote Bäume, die gebrochenen Äste ins hellbraune Gras gestützt. Selbst die Eukalyptusbäume mit ihren glatten weißen Stämmen lassen die ergrauten Blätter hängen. Am liebsten würde ich Regen machen für sie. Ich selbst bin extrem durstig, als ich – nach fünf Zwischenstopps auf dem riesigen Gelände – aussteigen darf. Sofort stürze ich auf die Café-Baracke zu und stelle mich an für ein Fläschchen bottled water. Grade Reihen von Zelten kauern zwischen den kahlen Hügeln. Ich sitze im Schatten auf der Holztreppe und verschlinge einen Burger mit Schinken und Ei. Im hinteren Bereich des Cafés ist ein Helpdesk, wo Freiwillige den ankommenden Gästen Zelte zuweisen. Ich muss warten. Sie haben meinen Namen nicht auf der Liste. Sie improvisieren. Sie finden eine Lösung, mit Leichtigkeit und einem Lächeln. Dave aus Pennsylvania begleitet mich dann zu meinem Zelt und schiebt meinen Koffer auf einem Roller über das, was mal eine Wiese war. Es sei Dürrezeit hier, meint er, es habe schon sehr lang nicht mehr geregnet.
Blue Campground, Zelt Nr. 67. Eine Fußmatte liegt vor
dem Zelt. Dave zeigt mir ausführlich, wie ich die Türen und Fenster öffnen und aufrollen kann. Drinnen kann ich aufrecht stehen. Ein Kleiderständer und ein Bett mit Schlafsack und zwei Decken
stehen mir zur Verfügung. Es ist brütend heiß darin. Ich packe rasch aus und gehe wieder ins schattige Café zurück. Dort mache ich Bekanntschaft mit drei fröhlichen Australierinnen, die sich hier
schon ganz wie zu Hause fühlen. WELCOME TO AMAROO!! Rufen sie. Ich kämpf schon wieder mit den Tränen.(Fortsetzung folgt...)
Ein freundlicher Ibis-Shuttle bringt mich zum Brisbane International Airport zurück. Gegen Mittag rolle ich mein Köfferchen die Rampe zum Shuttle Parkplatz hinab. Plötzlich treffe ich auf zahlreiche vertraute Gesichter, Menschen, die das gleiche Ziel haben wie ich. Einige haben ebenfalls im Hotel Ibis übernachtet. Tränen schütteln mich, als ich mit Koffern, Mitreisenden und freundlichen Dienstleistern in den Bus steige. Nach Amaroo. Es ist wie Heimkehren. Obwohl ich noch nie da gewesen bin. Doch da ist eine Vertrautheit, die mir das Herz bricht. Es duftet im Bus. Schon an der Hotelrezeption duftete es nach Blumen. Ich rieche den Garten Eden. Ich rieche Amaroo. Und als ich die wunderschönen Wolken am blauen Himmel sehe, sehe ich Gott. Ich sehe es, weil im Alten Testament Gott bei Tag in einer Wolkensäule und bei Nacht in einer Feuersäule erschien. In mir lebt Gott als Atemsäule.
Ich glaub ich träume. Aber es ist wahr. Ich hab es
geschafft! Der Bus setzt sich in Bewegung. Alle schwatzen im Bus. Ich lass mich auf kein Gespräch ein. um das heilige Schweigen nicht zu stören. Ich fühle Sympathie für einen schweigsamen
Menschen, der einen wunderbaren inneren Frieden ausstrahlt. Ich halt jetzt mal die Klappe, weil mir das Herz übergeht. (Fortsetzung folgt...)
Ich bin angekommen! 12 qm Hotelzimmer ab Mitternacht gehören ganz allein mir. Es lief alles erstaunlich glatt! Bevor ich mich in ein richtiges Bett lege, um – nach 40 Stunden – fürstlich zu
schlafen, gehe ich ein paar Schritte ums Hotel herum, nach 40 Stunden Massenhaft im Flugzeug und steriler Airport-Luft wieder unter freiem Himmel, Hendra, die breite Nudgee Road, Tankstellen,
Firmen, Schnellrestaurants. Das Hotel liegt an einem um den Navigator Place herum angelegten Gewerbegebiet. In der Mitte ein mächtiger Baum.. Die feuchte warme
Luft riecht würzig. Der Mond steht hoch. Ich weiß jetzt, wo ich bin und wo ich morgen früh hin muss.
Dreimal hat mich der australische Zollbeamte zurückgeschickt, weil ich die Immigration Card nicht vollständig ausgefüllt hatte. Dabei blieb er geduldig und locker. Australien wirkt freundlich,
weltoffen und unkompliziert. So ist mein erster Eindruck.
Ein indischer Taxifahrer hat mich ins Hotel gefahren. Die Rezeption war um Mitternacht nicht mehr besetzt. Meine Key Card fand ich im Tresor vor dem Eingang. Den Code hatte ich per Email
bekommen. Alles online. Als sei ich allein mit dem Internet auf dem Planeten. Ein Australier betritt nach mir das Hotel auf dieselbe Weise. Auch er wirkt ängstlich und sucht das Gespräch.
Auf dem Flur liegt ein Plastiklöffel von Cathay Pacific Airlines. Warum habe ich eigentlich Angst? Ist es die Erschöpfung? Ist es die Anonymität der Abläufe? Ich drück den kleinen Löwen an mich
und schlafe ein. Morgens weckt mich ein lebhaftes Konzert exotischer Vogelstimmen … (Fortsetzung folgt)
Nein, es ist nicht großartig , „World Traveller“ zu sein, wie es die Kotztüten an Bord vermitteln wollten. Apathisch bewege ich mich zum nächsten Gate. Auch wenn ich fix und alle bin, die Neugier stirbt zuletzt. Die Chinesen wirken außerordentlich reinlich. Ihre Kleidung ist klassisch und ohne Schnörkel. Viele von ihnen gehen mit einem Chirurgen-Mundschutz durch die Flughafenhallen. Mit Mundschutz fertigt man am Zoll die Reisenden ab. Vielfach wird nur über Gesten kommuniziert. Die Gesichter zeigen keine Regung. Die Durchsagen mit der puppenhaften Mechanik, der schaukelnden Intonation der chinesischen Sprache klingt lustig und harmlos, vor allem die Zahlen. Was verbirgt sich hinter diesen Pokerfaces? Mechanisch wie die Chinesen marschiere ich durch die endlosen Flughafenhallen mit den weltweit identischen Duty Free Shops. Ich vertrete mir die Beine, wawawanke ein bisschen.
Hinter der Asphaltwüste aus Landebahnen, Rollfeldern, Zeichen und Signalen, ragen Berge, die Kuppen im Nebel. Vor dem stahlgrauen Himmel glänzen die weißen Leiber der Flugzeuge. Über die Bildschirme im Wartebereich von Gate 70D laufen Bilder vom aktuellen Terror-Attentat. Möge die Angst erhalten bleiben.
Später danke ich dem Computer in Berlin für die Platzvergabe: Ich kann mich im Flugzeug über drei Sitze hinlegen und so tun als ob ich schliefe. Die Turbulenzen schütteln mich sanft. Ich habe seltsame innere Bilder. Hin und wieder höre ich jemand husten. Bald huste ich selbst. Es ist die Erschöpfung. Im Dämmerzustand vergeht viel Zeit. Noch 3 Stunden bis zum Ziel. Ich versuche es mit. „Piraten der Karibik Teil 3“, doch meine überreizten Nerven ertragen keinen Müll. Ich wende mich wieder den Memoiren von Shirley McLaine zu.
Cathay Pacific Airways schippert mich 9 Stunden lang nach Brisbane, eingeschlossen mit Fremden, auf der Jagd nach einem Traum. Wird er der Realität standhalten?
“ London, Paris, Tokyo, New York, Jakarta, Toronto… World Traveller“, steht auf der Kotztüte, die ich mir unters Gesicht halte. Wird es passieren? Ich atme tief und bitte meinen Magen, sich zu benehmen. Die Turbulenzen lassen nach, es dauert, doch der Kelch geht an mir vorüber. Ich schiebe die Tüte wieder ins Fach zum Warenkatalog von Duty Free. Kotztüten für World Traveller.. na toll. Unter dem Icon „Flight Information“ lese ich, wie viel Uhr es in Kong Hong ist und sehe dem Flugzeug per Satellit beim Fliegen zu. Unter mir nix als Ozean bei Nacht, finstere Untiefen mit zweifelhaften Kreaturen darin….
Ich wechsle im 30-Sekunden Takt die Sitzposition, weil irgendein schmerzender Muskel danach verlangt. Wie gern würde ich jetzt auf Facebook gehen, schauen, liken, Freunde, Gruppen... Vor zwei Stunden noch habe ich mit meinem Sitznachbarn darüber gewitzelt, warum es für die Fluggäste kein Internet gibt. Aber du kannst immerhin Filme, Musik und Nachrichten des KLM-Angebots mit anderen Fluggästen teilen, falls du mit ihnen befreundet bist. Überall auf den Nachbarbildschirmen laufen Spielfilme. Mein Bildschirm bleibt dunkel. Ich will da sein. Noch 2,5 Stunden. Ich warte auf die Landung in Hong Kong. Und dort werde ich auf den Anschlussflug warten. Und dann werde ich wieder warten. Mein Sitznachbar schläft. Ich bin todmüde und hellwach. Da draußen höre ich Wind, den die Tragflächen scharf durchschneiden, oder ist es der gleichbleibende Lärm der Maschine? Halluziniere ich schon? Ich möchte das Fenster öffnen und frische Luft reinlassen, denn draußen erscheint reinstes Morgenlicht über weißen Wolken. Wir sind einer kurzen Nacht davongeflogen, der Sonne hinterher. 8 Uhr früh Ortszeit, 2 Uhr früh in Berlin, 10 Uhr früh in Brisbane. Ich bin aus der Ordnung des Tag-Nacht-Rhythmus gefallen. Meine Frisur ist derangiert, und ich schwebe… jenseits von Raum und Zeit, auf wackeligen Beinen vom Flugzeug in die Hallen…(Fortsetzung folgt)
Nein, ich habe keine Angst vorm Fliegen. Doch der Franzose neben mir schöpft Verdacht, als ich beim Start den kleinen Plüschlöwen aus der Tasche hole und an mich drücke. Ich kann nicht verhindern, dass ein paar Tränen fließen, denn die Freude weitet mein Herz. Das Flugzeug hebt ab. Alles in mir wird super leicht und Ich weine erst recht. Endlich auf dem Weg… Oh Gott, und was für ein Weg!! Er führt durch die Luft.
20:30 h in Berlin, 2:30 am in Hong Kong, 4:30 am in Brisbane. Dazwischen ich. Ohne Boden unter den Füßen, oder nur einem sehr dünnen. Unter der vibrierenden Membran des Flugzeugs ist Luft, kilometerweit Luft. Ich stehe auf Luft. Drei Stunden sind vergangen. 11 Stunden sind noch zu überbrücken. Ich mache Turnübungen vor dem Lavatory. Reisen ist warten, abhängig von KLM, die ich dafür bezahlt habe, mich in einen engen Sitz zu schnallen und Vorschriften zu befolgen, haha. Fasten your seatbelts, turn phones on flight mode, don’s smoke in lavatories. Keep seats in upright position. Selbst die Schachtel mit den Keksen und dem Käse trägt die Aufschrift: „If you don‘ t eat, don’t waste me. Maybe your neighbor wants to eat two.“
Der Franzose neben mir hat einen russischen Namen, eine chinesische Staatsbürgerschaft, lebt in Bordeaux und verkauft Wein nach Hong Kong. Wir palavern über dies und das. Zum Beispiel, dass man
nur noch gegen Bezahlung einen Einfluss auf die Sitzplatzwahl hat. Beinfreiheit gibt es schon ab 170 Euro Aufpreis. Vor 20 Jahren hast du dich mit der Dame am Check noch ausführlich beraten, wo
du wohl am besten sitzt und welche individuellen Bedürfnisse du hast. Heute läuft alles online. Du kannst mit niemand verhandeln oder Fragen stellen oder gar protestieren. Du bist mit allem
allein und wirst dabei kleiner und immer kleiner. Ich habe weder Laptop noch Smartphone mitgenommen. Ich mach mal Urlaub von dem dussligen Gewische auf Bildschirmen und seh den Anderen dabei
zu.
Immer wieder überschwemmen mich Freudentränen. Zugleich leide ich bereits an den Folgen mehrerer schlafloser Nächte infolge von Reisefieber. Der Franzose beginnt reichlich Wein und Bier zu
trinken, während ich unter einem Tuch meine Emotionen diskret ausleite und schließlich ans Fenster gelehnt ein wenig schlafe.. (Fortsetzung folgt)
(c) Text und Bild: Brigitte Hallbauer