Zimmer 32

Herr Mühlmengler

Saures Lünglein
 
Aufschieberitis ist die Krankheit unserer Tage. Denn Aufschieberitis kann reale Krankheiten verursachen: Depressionen, Stress und Schlaflosigkeit.
Größtenteils schieben die Menschen Dinge auf, die sie eigentlich gar nicht machen müssten. Sie laden sich eine viel zu große Portion auf, sind überehrgeizig; vielleicht, weil sie ein schlechtes Selbstwertgefühl haben und meinen, immer Alles auf einmal machen zu müssen. Prioritäten zu setzen fällt dabei schwer. Und das Ethos unserer Gesellschaft aktzeptiert es nicht, dass man aufhört, nach immer mehr zu streben.
Auch ich meinte, dass Lernenarbeitenreisensportmachensprachenlernensaufenfressen wichtiger wären als der leichte (oder nach dem Rennen auch schwerere) Husten, der mich die letzten Monate plagte.
Dazu kein Urlaub und keinen Moment zum Nachdenken. 
Die Rechnung kriegt man immer am Ende. Bei mir hat sich der Körper dann mit einer Lüngenentzündung gerächt. Seitdem macht mir die Arbeit definitiv weniger Sorgen. Und statt sie aufzuschieben habe ich dann manche Sachen einfach sein gelassen. Geht auch.

Wo man steht

Flexibilität ist Abwesenheit von Stabilität. Es ist möglich, sich in jede Lebenslage, jede zwischenmenschliche Beziehung, jedes Gespräch, jede Kultur einzufügen. Aber das setzt voraus, dass man bereit ist, sich dem anderen in gewisser Weise anzupassen, seine innere Logik zu verstehen, seine Vergangenheit,  Gegenwart, Hoffnung und Ängste.

Was derlei mit einem selbst tut, ist hingegen nicht allgemein voraussehbar. Empfindet man es als Verbiegen oder als Entdecken eines weiteren Aspekts an sich selbst? Und gibt es ein Warnsignal, wenn man zu weit geht?

Ein guter Indikator sind Fehler, die man macht, wenn es knirscht im Gebälk, wenn Dinge schieflaufen und es dafür keine direkt nachvollziehbaren Gründe gibt. Dann sollte man prüfen, ob man am richtigen Ort ist, insbesondere, ob man bei sich selbst ist. 

Politiker Beim Fußball

Es sind manchmal die kleinen Nuancen, die bemerkbar machen, wie fundamental sich Dinge geändert haben, noch interessanter gar, wenn man den Vorherzustand selbst aufgrund zu geringer Verweildauer auf Gottes grüner Erde nur vom Hörensagen her zugetragen bekommen hat. Bemerkt man nun, bei den allgemeinen Säuen die durch das deutsche Mediendorf getrieben werden, die einfache Tatsache, dass Mutti Merkel scheinbar bei jedem zumindest wichtigen Spiel der deutschen Nationalmannschaft mit dabei war, so ist das aufgrund mangelnder Gedächtnisleistung oder Beobachtungsgabe mittlerweile eine Art Normalzustand. Bussi für Schweini, schäkern mit Lahm, und so weiter und so fort. Gab es das früher auch? Natürlich, will man ganz provokant sein so bemerkt man, dass Hitler ja die zentrale Figur der olympischen Spiele 1936 gewesen war. Aber Adenauer beispielsweise war sogar dieses nationalduselige Wunder von Bern, Anlass zum Abgesang des schönen "Deutschland über Alles", ziemlich schnurzpiepegal gewesen. Ist es dann nur eine persönliche Sache von Merkel? Ich glaube wohl eher kaum. Es geht hierbei darum, sie von ihrer nicht verwaltungsmäßig-drögen Art darzustellen, ein menschliches Gesicht, "eine von uns". Ein schauerlicher Gedanke, eigentlich, denn er besagt, dass jemand der nicht so ist "wie wir" keine Berechtigung hat, uns zu regieren. Politiker werden von ihren PR-Abteilungen durch Bierzelte, Fußballstadien und Messen gezerrt, nur um den Eindruck der so genannten "Volksnähe" zu erwecken. Aber will man das denn? Die Nähe eines Politikers? Dass der Machthaber so ist wie man selbst? Ehrlich gesagt schaudert mich dieser Gedanke immer mehr. Es sollte doch eigentlich egal sein, was diese Leute in ihrer Freizeit machen, ob und welche sexuellen Begierden sie haben, so lange sie ihren Job einigermaßen machen. Warum aber brauch es all die Kampagnen, all das PR-Gedöns? Weil Alles verkauft werden muss, ein Politiker ist kein Mensch, sondern ein Produkt, das genau wie das I-Phone, der Sportwagen oder die Taschenvagina an den Mann und die Frau gebracht werden müssen. Ehrlich gesagt: Ich persönlich bin nicht interessiert. Im 19. Jahrhundert ist ein französischer Präsident beim Ficken im Puff gestorben. Meine Meinung: Mir egal, solang er vorher seinen Job einigermaßen gemacht hat.

Angst


Ganz offensichtlich besteht nach einem Ereignis wie dem Anschlag in Paris das Bedürfnis, die Welt neu zu betrachten: Könnte ich der Nächste sein? Wie kann ich mich schützen? Wer steckt dahinter? Würden diese Leute es wieder tun?

Ein guter Haufen Leute hat momentan die Hosen gestrichen voll, die lauten Solidaritätsbekundungen sind vielmehr ein Zeugnis hierfür als ein Gegenbeweis. Wir sind diesmal scheinbar an einer empfindlichen Stelle getroffen worden, denn Karikaturisten werfen ja letztlich keine Bomben im Irak. Eine Meinung zu haben und ausdrücken zu dürfen ist ein hohes gut, tatsächlich. Aber wie sollte man von diesem Gut Gebrauch machen? Ist es nicht paradox, die Erwartung zu haben, dass man seine Meinung - in welcher Form auch immer - kundtun darf und darauf keine Konsequenz folgt? Wer es wirklich ernst meint und kein Miesepeter und Dauernörgler ist, sollte darauf bestehen, dass eine Meinungsäußerung eine Folge hat. Wer sich vor diesen Folgen fürchtet, ist schon ziemlich bescheuert und eigentlich auch feige. Wer seinen Mund öffnet, riskiert damit etwas. Punkt. Das besondere an den Charlie Hebdo Zeichnern war, dass sie sich dieser Gefahr bewusst waren und dennoch keine Polizeiüberwachung angefordert oder ihre Linie geändert haben. Sie haben sich auf ein Spiel eingelassen, in dem sie sämtliche möglichen Folgen ihrer Taten absehen konnten. Leider ist die schlimmstmögliche eingetreten. In Frankreich selbst sind glücklicherweise besonnene Stimmen in der Mehrzahl, die jetzt mehr soziale Inklusion fordern - man weiß genau, dass es auch um die fehlende Chancengleichheit geht, die Menschen radikal und kriminell werden lässt. Wer aber letztlich politisch davon profitiert, weiß man noch nicht. Das furchtbarste wäre es aber, wenn ein Klima der Angst wieder unsere Gesellschaft übermannt und sämtliche Mittel, die gegen erdachte und reelle Bedrohungen eingesetzt werden können, denkbar macht. Mir persönlich ist die Freiheit lieber. Mich nervt es endlos, am Flughafen ewig kontrolliert zu werden, obwohl diese Kontrollen nachweislich nicht funktionieren. Wenn ich in ein Flugzeug einsteige, in dem ein Entführer sitzt - Berufsrisiko. Wirklich. Man kann nicht ständig alles fordern und meinen, dass man sich dabei nicht in Gefahr begibt. Das ist die selbe Scheißdenke, die Menschen glauben lässt, dass sie 10 % Zinsen sicher kriegen. Es sind deswegen so hohe Zinsen WEIL DAS RISIKO HÖHER IST! Man kann verlieren. Vielleicht sollten einige daher erst einmal ehrlich zu sich selbst sein und sich fragen: Was ist mir die Meinungsfreiheit wert? Die Demokratie? Reisefreiheit? Und vieles mehr. Dass es das alles nicht umsonst gibt, weiß man auch ohne diesen bescheuerten Satz von wegen Freedom sei nicht free. 


Altjahr

Vorsätze fürs neue Jahr sind ja grundsätzlich eine gute Idee. Die Tatsache, dass sie so gut wie niemand einhalten kann, liegt auch daran, dass viele Menschen die Idee haben, ihr Leben könne sich vom einen Tag auf den anderen ändern so wie die Jahresziffer, man könne sich selbst verleugnen und neu anfangen. Ein verführerischer Gedanke, als jemand anderes aufzuwachen, ein neues Leben zu führen. Aber es gibt tiefergehende Gründe, warum das eigene Leben so ist, wie es ist, was nichts mit irgendwelchen Äußerlichkeiten zu tun hätte. Das Leben ist die Summe aller Entscheidungen, die man getroffen hat und man kann die meisten nicht revidieren, man muss zu ihnen stehen, weil man sonst kein eigenes Leben hat. Man muss ja auch zu den Dingen sagen, die schon existieren, zum Leben und zu den Dingen, die unter Umständen auch noch verschüttet herumliegen. Man muss nur zu sehen lernen.

Gedanken in Bolotnoje

Beatrix von Storch sitzt also im Europaparlament. Eine erfreuliche Nachricht. Obwohl ernot erpel, Gustav Gans und Daniel düsentrieb nicht antreten könnten ist entenhausen endlich würdig in Brüssel vertreten. Was mit der troika passiert sobald tick, Trick und Track erwachsen sind hat gundel gaukeley schon längst in der Kristallkugel gesehen. In diesem Sinne: ihr Alfred Jodokus Quack. — in Bolotnoje.

Sein, haben, müssen

Es fällt schon schwer, in der ganzen Aufregung, die selbst da ist, wenn nichts geschieht, ein Gespür für die eigene Existenz hinzubekommen. Sich selbst von außen zu definieren ist keine so schlechte Sache, wie man meint, denn man bringt ja auch nur reiche Frucht, wenn man ein guter Weinstock ist. Möchte man meinen.

Außer der Widerwille gegen All das steigt an, es wird zu viel. Und dann geschieht es so oft, dass die Ursache dieses Widerwillens falsch erkannt wird, denn er entzündet sich natürlich als erstes am Mitmenschen. Stalin sagte einmal: Ein Mensch, ein Problem, kein Mensch, kein Problem.

Trotz der Tatsache, dass er im Geiste dieses schönen Satzes Millionen von Menschen in den Tod geschickt hatte, stimmt der Satz genau betrachtet doch: Wäre der Mensch "Ich" nicht, gäbe es kein Problem, denn dann gäbe es ja niemanden, der sich über Alles aufregen könnte. 

Insofern rate ich erst einmal: Wer sich über die Welt, die Mitmenschen und den alltäglichen Scheißdreck aufregt, sollte vielleicht erst einmal bei sich selbst anfangen. Ich sage das jetzt nicht im Sinne dieses Splitter-Balken Satzes von dem Typen, der am Kreuz wesentlich kürzer herumhing als seine ganzen Kollegen, sondern in einer wesentlich egoistischeren Manier: Man muss auf sich selbst aufpassen, nicht, weil man damit den Anderen einen Gefallen tut, sondern, weil man sich damit selbst einen Gefallen tut.

Und dazu muss man sich erst einmal selbst spüren können. Ich weiß, es gibt tausende Methoden dazu, aber eigentlich reicht es schon, erst einmal seinen Puls nachzufühlen und zwar nicht wegen Bluthochdruck oder so etwas, sondern, um wirklich zu verstehen, dass man am Leben ist. Einfach so.

Und dann ist schon vieles einfacher. 

Ankommen

Ankommen ist beinahe schwieriger als losreisen. Ich brauche einen Rucksack, ein Ticket und weg bin ich. Ankommen erfordert Einrichtung, man muss zuerst seine Umbegung und dann sich selbst gestalten. Mit Wohnungen ist man genauso nie fertig wie es der Kölner Dom ist. Es gibt keinen wirklichen Abschluss. Eine Reise geht Knall auf Fall. Ankommen geht schrittweise, langsam. Es erfordert Konzentration, Besinnung, Anstrengung. Den Puls herunterfahren lassen, der so lange auf 180 gelaufen war. Auch Anstrengung kann Routine sein, dann ist Erholung nicht einfach. 

Langsam verschiebt sich der Modus. Langsam springen die ruhigen Quellen. Langsam, langsam.

Wissen

 

 

Der Affe, der nichts sieht, der Affe, der nichts hört und der Affe, der nichts spricht. 

Manchmal wäre ich gerne eine Kombination aus allen dreien, würde gerne das Leiden nicht sehen, das Stöhnen nicht hören und vor allem, ich will zu alledem nichts sagen müssen, keine Meinung haben.

Ich weiß, dass all dies existiert, Schmerzen, Tod, Krankheit. Und doch, manchmal wüsste ich es gerne nicht; die Neugier, mit der ich einst in die Welt hinausgezogen bin (und so lange ist das noch gar nicht her) ist zu Teilen einer Enttäuschung gewichen, denn ich wollte verstehen, begreifen, all die Wunder erleben. Dann zu erkennen, dass hinter beinahe allem primitivste Gründe stecken, tut weh, tut furchtbar weh.

Manchmal wünschte man sich, Dinge, die man weiß, wieder zu löschen, Erinnerungen auszumerzen, Verbindungen im Kopf zu kappen wie eine Leitung, die mit einer Stromquelle verbindet. Dann hat man zwar keine Kraft mehr, aber genausowenig Schmerzen.

Das hehre Ziel, ein gebildeter, ein guter Mensch zu sein, das uns in der Schule vorgezeigt wurde, es ist unerreichbar. Erstens können wir unmöglich alles wissen und verstehen, zweitens wollen wir das auch nicht, weil wir lieber die Augen verschließen.

Was bleibt als Option? Einerseits vollkommene Spezialisierung auf ein Gebiet, in dem man sich wirklich auskennt, andererseits rein oberflächliches Generalistenwissen, das man per google leicht zusammensammeln kann.

Die Zeitungen sterben vor allem deswegen aus, weil mittlerweile Alle Journalisten geworden sind; das ist aber kaum als Kompliment anzusehen. Es gibt kaum noch Standpunkte, feste Gedankengebäude, es gibt nur noch Themen, auf die man standardmäßig reagieren muss, der eine oder andere provoziert dabei mehr, der andere weniger, aber sprechen Sie beispielsweise das Thema Nahostkonflikt einmal an und hören Sie genau zu: Sie werden keine überraschenden Meinungen oder Argumente mehr finden, nur noch Stümpfe von Argumentationen versetzt mit einen dünnen Faktenbrei.

Manchmal denke ich mir dabei schon, dass es wohl besser wäre, sich der Diskussion komplett zu entziehen, es gibt ja genügend andere, die eine Meinung dazu haben.

Manche Meinungen sind erfreulich kurz und unergiebig (".... finde ich ja schon schlimm") und haben wie die meisten anderen keine Konsequenz auf das reale Leben. Man hofft auf Vater Staat, Lotto oder gar nicht mehr. 

Selbst gestalten und ändern braucht man ja nicht mehr, wenn man einen Angestelltenjob und sein Häuschen hat.

Ich würde tatsächlich gerne etwas tun, aufgrund dessen, was ich sehe, höre und sage. Aber das Gefühl der Ohnmacht ist überwältigend. Bekommt man im Leben seinen Moment, seine Chance? Oder muss man sich diesen Moment erarbeiten?

Wiedererkennen

 

Nach Plato haben wir einstmals Alles gewusst und lernen heißt nur, sich erinnern. Ich habe Dinge getan, habe gefühlt, aber ich habe mich nicht erinnert. Jahre meines Lebens, hinfortgewischt in einem Zug, durchrast, abgehakt, weggesperrt.

Wie lange kann man fliehen? Kann man alle Brücke abbrennen, jeden Tag neu geboren werden? Wozu machen wir Fotos, schreiben uns Dinge auf? Was sollte aufbewahrt werden?

Ich suche die Kontinuität. Ich sehe mein bisschen Leben, die paar Kämpfe, das Zappeln und Winseln. Was davon bin ich heute noch, was ist gestorben, was durfte überleben?

Und dann: Was wird bleiben?

Das sind dumme Fragen, weil sie nicht beantwortet werden können. Eine solche Frage ist eine Frechheit. Sie verbiete sich von selbst, üblicherweise, da sie nicht in den Alltag passen. Wenn ich meinen Schreibkram erledige, was interessiert mich dann, was vor zwei Jahren war? Wir ertränken uns selbst in unserer Umgebung und werden schizophren, tun, was von uns in gewissen Situationen verlangt wird, wollen Menschen gefallen, die mit uns nichts zu tun haben sollten.

Ich habe das zu lange getan. Und einfach weglaufen bringt auch nicht immer etwas.

Einsamkeit

Einen äußeren Ausdruck für das finden, was innendrin los ist. Einen geeigneten.

Isolation ist eines der Dinge, die immer da waren. Nirgendwo findet man Isolation so wie in der Fremde, wenn niemand versteht oder verstehen will. Wenn der eigene Ausdruck nicht den Punkt erreicht, den man haben will. Nicht sprechen können ist die höchste Form. Hören, aber nicht verstehen.

Was mich trieb, war die Sehnsucht nach der Stille, nach Ruhe, nach Geborgenheit in mir selbst. Schlaf, Erholung, Untergehen in der Weite und Größe von Allem.

Aber nicht in diesem spiritistischen Sinne. Ich gebe nicht irgendeinem Typen einen Haufen Geld in die Hand, damit er mir irgendeinen Quatsch erzählt und mich heilt. Ich brauche keinen Sektenführer, niemanden, der mir sagt, wo ich hinzugehen habe. Sensibel genug, um zu spüren, wo es hingehen sollte, bin ich selbst auch. Ich brauche nur weniger Verwirrung, weniger Druck, weniger Verpflichtung. 

Wohin es dann geht, steht offen. Offen wie der Horizont.

Erbe

Mein Großvater war ein schwieriger Mensch. Keiner von diesen Rauschebart-achduliebesKindhierhastdueinBonbon-Opas. Ein störrischer, teilweise brutaler, jähzorniger, strenger Mann, der sich am liebsten zurückzog, wenn es ihm zu laut, zu hektisch wurde.

Er war im Krieg gewesen.
Das sagt sich so leicht.
Ich weiß mittlerweile was das war, dieser Krieg: Menschen, die wie Bestien mit Eisenstangen auf wehrlose Menschen einprügelten. Das Gefühl, niemals, aber auch niemals sicher zu sein. Das Wissen, absolut erbarmungslos behandelt zu werden, sobald man einen Fehler macht. Totale Abstumpfung, Entmenschlichung, Hunger, Frost. Sadismus. Männer, die aus Langeweile Menschen bei Minusgraden bei lebendigem Leib mit Wasser übergießen, so dass sie langsam zu einer Eissäule werden. Familienväter, die Babys an den Beinen durch die Gegend schmeißen. Blut, Scheiße, Kotze. Das volle Programm. Beinahe jeden Tag.
In der ganzen heuchlerischen Erinnerungskultur ist die Erinnerung an die Einzelnen verloren gegangen. Ich brauche keine kollektive Verantwortung, kein Nationsgefühl, das sich auf Auschwitz zurückbezieht. Mir ist diese wie auch jede andere Nation relativ scheißegal. Wichtig sind die Menschen. Oder besser der Mensch, der einzelne Mensch. Selbst wer sich hinter der Kollektivschuld versteckt, versteckt sich auch hinter dem Kollektiv. "Nicht nur ich bin verantwortlich, sondern alle anderen ja auch." Wer so denkt, betet die Logik der Täter nochmals nach. Geteilte Schuld ist halbe Schuld? Und wenn 80 Millionen sie teilen, dann hat man ja nur ein Fetzchen schuld. Grob rechnerisch muss dann jeder nur einen elftel Juden mit sich herumschleppen. Das geht ja noch.
Und das nennt man dann Mündigkeit.
Mein Großvater war nicht im Widerstand. Er hat wahrscheinlich Menschen getötet. Ich weiß nicht, ob auch Unschuldige darunter waren. Aber wenigstens hatte er die Courage, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. So viele sind nach Hause gegangen und plötzlich war nichts mehr.
Die Narben spüre ich bis heute. Ich sehe die Bilder vor mir. Das Verrecken.
Ich leide es nach. Mir ist das aber lieber als jedes Schöneweltgemale. Nazis, das sind immer die anderen. Vor allem diejenigen, die die schönen, sauberen Schrebergartensiedlungen stören, die aufs Amt kommen und auf ihre besondere Situation aufmerksam machen wollen, die den Frieden in unserem sauberen, behaglichen Leben stören.

Tag und Nacht

Gestern habe ich mich irgendwann hingelegt und konnte mich nicht mehr erinnern, was ich die Stunde zuvor getan hatte. Ich war komplett nüchtern, hatte nichts abnormales getan.

Einfach nur ein Aussetzer.
Ich frage mich, wie viele ich davon schon hatte. Sicherlich, einiges vergisst man, anderes verdrängt man; dazu kommt die Alltagsschusseligkeit, die mir immer am deutlichsten klar wird, wenn ich einen Raum in der festen Überzeugung betrete, dass ich dort etwas bestimmtes wollte, mich aber überhaupt nicht mehr daran erinnern kann.
Vielleicht war es gestern ein Form von Erschöpfung, von geistiger und körperlicher Müdigkeit. Oder vielleicht auch von verdrängter Überanspannung. "Tu es gleich- unerledigte Aufgaben verfolgen dich im Schlaf". Ist ja recht. Aber ich hatte doch alles getan. Oder doch nicht? Keine genaue Ahnung mehr. In der Nacht gewitterte es dann. Ich konnte nicht mehr schlafen, die Rolläden waren nicht zu und über zwei Stunden erhellte das Wetterleuchten das Zimmer in zuckenden Lichtern. Ich ging eine Runde bügeln und machte die Tastatur von meinem Laptop sauber.
Dann konnte ich schlafen.
Die Momente, in denen man glaubt, wahnsinnig zu werden, sind nicht unbedingt die vollen, überspannten. Der Wahn kann auch ganz leise kommen, durch die Hintertür.
Die Augen zwinkern nur leicht und die Welt ist eine andere, eine verschobene, eine ver-rückte.
Dann wacht man auf und hofft, dass alles ein böser Traum war. Gerädert zwar, aber nicht zerbrochen.

Waldbewohner

Die Kämpfe der Gegenwart lassen sich besonders schlecht schlagen, wenn die Geister der Vergangenheit auferstehen, wenn Orte, Menschen und Erinnerungen, die Sicherheit, Ruhe und Gelassenheit vermitteln sollten, sich auf einmal umdrehen, zu Szenarien und Darstellern des totalen Horrors werden, der das eigene Leben ist.

Es wirkt wie in einem Film, in dem der Twist die Bedeutung der ganzen Story umdreht. Eine Information, eine Ahnung dreht das Narrativ des Gesamtzusammenhangs vollkommen um. Die Struktur des idealen Anfangs, der glücklichen Kindheit, aus der man gewaltsam herauswachsen muss, wandelt sich und es wirkt anders: Der Kampf, die fruchtlose Mühe, sie war schon immer da, sie prägte das Leben schon von Beginn an. Grausamkeit entsteht früher im Leben des Menschen als man es sich vorstellen kann. Ich habe einen kleinen Jungen, der mir sehr gut bekannt ist, einmal beobachtet: Er ist ein furchtbar positives, überschwängliches Kind, das Freude an vielem hat. Und auf einmal, wenn er in Zorn gerät, verändert sich sein Gesicht, die gefletschten Zähne lassen es für Sekundenbruchteile zur Fratze werden, zu demjenigen tierischen Zorn verwandelt, derjenigen Wildheit angefallen, die wir schon seit Jahrhunderten überwunden zu haben meinten.
Genauso war es anscheinend auch in meiner Kindheit. Gleichzeitig kann ich mich an einige Jahre meines Lebens gar nicht mehr erinnern, habe sie verdrängt, für immer verstoßen, weil sie nicht passen. Diese Ereignisse kochen wieder hoch, in dem Moment, in dem ich ein weiteres Kapitel meines Lebens abschließen will. Das Resümee geht jedoch nicht nur über die letzten Monate und Jahre, es geht viel weiter, es fordert eine Gesamtbewertung: Wer bin ich, wohin gehe ich?
Ich verstoße mich selbst aus dieser Gesellschaft, für eine gewisse Zeit.
In den alten Geschichten gibt es für den, der alleine ist, zwei verschiedene Szenarien: Entweder, er ist der Verstoßene, den die Gemeinschaft ablehnt, der Leprakranke, der, der die Gesetze der Menschen nicht einhalten kann oder will.
Das andere Szenario ist das der Mensch sich selbst isoliert, um mit den Göttern in Kontakt zu treten, um zu meditieren, um seinem Volk von der Weisheit weiterzugeben. Dies waren die Herrscher, die Philosophenkönige. Als Moses auf den Berg ging, isolierte er sich von der Gemeinschaft, um über ihre Grenzen hinauszureichen.
Was die Alten und auch wir heutzutage nicht begreifen können, ist, dass zwischen beiden Situationen kein großer Unterschied besteht. Derjenige, der verstoßen wurde, verstößt sich auch selbst immer wieder, weil er die Menschheit - und ich sage bewusst Menschheit und nicht die Menschen! - nicht erträgt.
Warum ich diesen Unterschied mache: Die Menschheit als ganzes, anonymes, amorphes Wesen, ist üblicherweise die Entschuldigung für all jene Taten, die dem Einzelmenschen niemals einfallen würden: Das machen doch alle so.
Ich will das nicht. Und ich will nicht die bösen Taten mit Rache sühnen. Deswegen will ich die Rache auch nicht mehr an mir selbst vollführen. Ich will Menschen, echte Menschen, die mich so lieben können, wie ich bin. Es gibt sie, ich weiß. Aber wenn die Paranoia mich überfallen, spüre ich es nicht mehr, sehe Feinde, wo keine sind.
Einerseits ein furchtbares Gefühl. Andererseits sind diejenigen Menschen, die sich meine Vorwürfe, meine Ängste, anhören und dennoch zu mir stehen können, genau die, um die es geht.
Ich träumte vor kurzem, dass der Wald, in dem ich beinahe aufgewachsen bin, in lichterlohen Flammen steht. Die Tiere schrieen vor Angst, sie verbrannten und es roch nach ihren Haaren und ihrem Fleisch. Ich wollte meine Augen abwenden, aber ich konnte nicht. So müssen sich die Barbaren damals gefühlt haben, als sie, aus den Wäldern gekommen, die Tempel verbrannten und der Weihrauchduft die Straßen übervoll machte.

Das Wort zum Sonntag

Menschen, die in Extremen leben, haben das Problem, dass es in einem Bereich des Lebens grandios laufen kann, während alles andere vollkommen in Flammen steht. Für diese Art von Widerspruch scheint der menschliche Verstand und die Gefühlswelt nicht gemacht zu sein.

Es ist einfach, sich eine Welt vorzustellen, in der alles schief läuft, in der jeder ein Feind ist, in der nichts funktioniert und die aufs tiefste böse ist.
Genauso einfach ist die Hippiefantasie, dass alle Menschen grundsätzlich gut wären, nur irgendwie davon abgekommen wären und dass es das Böse gar nicht gibt.
Die Wahrheit ist der Widerspruch. Ein Mensch, der seine Tochter abgöttisch liebt, hat kein Problem damit, andere Töchter abzuschlachten; körperlich vollkommen gesunde, wunderschöne und (in der allgemeinen gesellschaftlichen Interpretation) erfolgreiche Menschen werden depressiv und bringen sich um.
Ich weiß nicht, ob das Ganze mit dieser Licht-Schatten Dualität zu greifen ist. Schmeckt das Glück tatsächlich süßer, wenn man sich des Unglücks bewusst ist? Dann würde ein Sechsgängemenü ja auch am besten munden, wenn außen herum kleine Kinder verhungern.
Eigentlich ist es das Beste, die Ansprüche so weit zurückzuschrauben, dass selbst das kleinste Glück befriedigend sein kann. Das große Glück will ich eigentlich gar nicht haben, nur irgendwie mit mir selbst zurechtkommen, das würde reichen.

Los

Kraftlos. Sprachlos. Schlaflos.

Mitten im Sprung von der Seite erwischt, lande ich im Graben.
Da liege ich gut. Ich will niemanden, der mich rauszieht, ich will nur atmen, atmen, atmen. Mein Kopf ist voll und zu. Nichts mehr soll hinaus. Ich will gar nichts mehr und vor allem will ich nicht mehr wollen. Ich will nicht, dass irgendjemand irgendetwas für mich tut. Schlagt zu, mir ist das egal. Tretet, beißt, zerfleischt, mir ist das gleich. Wenn ihr mich anders wollt, dann nehmt mich einfach und schleudert mich irgendwohin, aber erwartet nicht, dass ich mitmache.
Ich habe mich irgendwohin verlaufen, wo ich vielleicht gar nicht hingehöre, aber mir ist das auch egal, hingehört habe ich sowieso noch nirgends.
Vielleicht ist das ja auch normal, was weiß ich, vielleicht schauspielert ihr ja alle auch nur, vielleicht wollt ihr insgeheim ja auch irgendwo zu Hause sein, aber könnt es nicht und darum schließt ihr euch selbst ein. Verständlich, dass ihr auf jeden wütend seid, der versucht, an den Gittern zu rütteln, ihr wollt genau so wenig Hilfe wie ich auch, denn ihr seid zu stolz, als dass ihr wirkliche Hilfe wolltet, nicht einmal die Gesten ertragt ihr. Oder ihr ertragt sie nur, wenn sie nicht ernst gemeint sind, wenn ihr es spürt, diese kleine Gemeinheit, dieser Wurm in dem Apfel, der euch dargereicht wird.
Ohne das Risiko, dass ein Wurm drinnen ist, würdet ihr den Apfel gar nicht essen und insgeheim seid ihr am Ende enttäuscht, wenn ihr euch nicht darüber beschweren könnt, dass ein Wurm drinnen ist.
Ihr ertragt das Heilige nicht, weil es nicht in euer Konzept passt.
Ich kenne das Heilige, ich erkenne es sogar an, aber ich spüre, dass ich mit ihm nicht in Verbindung stehen kann. Es gibt eine Blockade. Wenn sie sich auflösen sollte, dann muss das wohl dauern.
Ich möchte nur nicht, dass man mir vorwirft, ich wollte nicht. Ich kann einfach nicht.
Kraftlos. Sprachlos. Schlaflos.

Mein Russland

Stark durch Trauer

Es ist schon beschämend, wenn man sich selbst scheinbar dauernd im Weg steht auf der Suche nach dem, was einen glücklich zu machen scheint. Ich lechze nach Kontinuität, seit Monaten und selbst verweigere ich sie mir, springe herum auf Gottes grüner Erde von einem Punkt zum anderen und häufe immer Berge von Aufgaben vor mir auf, die ich nicht mehr bewältige kann außer in einem einzigen riesigen Schub. Meine Wohnung sehr ich nur sporadisch, alles ist verstaubt, verdreckt, fliegt herum; Fristen, Termine platzen, Freundschaften leiden.

Und dann hält man einmal inne und spürt, dass man ganz tief innendrin furchtbar traurig ist, melancholisch gar. Es ist, als würde unter dem ganzen hektischen Gezappel ein Ton schwingen, der nie verklingt und wenn man ihm zuhört, dann lässt er resignieren gegenüber all dem, was so wichtig scheint.
Ich kenne existentielle Angst, das ist, wenn dieser Zustand lärmend wird, ein Meer von Nichts, keine Hoffnung mehr, es mit etwas von dem zu füllen, was einem diese Welt bieten kann. Vor dieser Angst habe ich Angst, so dumm das klingt.
Daneben empfinde ich Verbindung mit all dem, was anscheinend falsch läuft, denn fehlerbehaftet bin ich genauso wie alles, was da draußen vor sich geht. Ich kann nur für mich und alle anderen hoffen, dass die Kraft nicht ausbleibt.

Melancholie Teil 2

So zu wirken, als sei man emotional tot, benötigt viel Kraft. Leider kann ein Großteil der Menschen nicht zwischen dem Versuch, vernünftig zu sein und emotionaler Kälte unterscheiden.

Liebe, so sagt der Volksmund, lasse sich nicht planen. Das vielleicht nicht, aber die Situationen, in denen Liebe entsteht, lassen sich managen. Es wirkt stets kalt, in dieser Weise zu denken, wenn es um etwas derart kitschverbrämtes wie Liebe geht, gestern hat wieder eine Gruppe von zusammengeschminkten Scheinwesen auf einer Bühne in einem von Ölreichtum aufgepeppelten Absurdistan leere Liedchen darüber geträllert.
Liebe und Schmerz sind nicht trennbar. Die Werbewirtschaft versucht aber, uns vorzuträllern, dass wir das gefühlt Gute von dem gefühlt Schlechtem trennen können. Kaffee ohne Koffein, Milch ohne Fett, Fleischgeschmack ohne Fleisch. Und die Medien zwischendurch: Liebe ohne Schmerz. Zumindest ohne eine Art von Schmerz, die lösbar ist, denn: Angeblich gibt es trotz aller Windungen letzten Endes den oder die "Richtige/n".
Das zwischendrin wird gerne möglichst kurz und möglichst gleich dargestellt; voller aufopfernder Liebes- und Leidensbekundungen. Dies ist nicht mein Schmerz. Mein Schmerz ist Melancholie. Ich fühle Trauer über Alles. Trauer über mein Verhalten, meine Macht, die Ohnmacht ist. Denn, das wird auch gerne vergessen: Es geht auch immer um Macht und Ohnmacht. Warum lassen sich denn Leute fesseln oder schlagen einander mit Peitschen? Warum finden es Leute (zumindest scheinbar diejenigen, die Pornos schauen) so geil, wenn ins Gesicht gespritzt wird? Es geht um Macht, Erniedrigung, Unterwerfung, Überlegenheit.
Ich will das nicht. Ich will einfach da sein und die billigsten Zigaretten; diejenigen, die sogar russische Bauarbeiter nach Möglichkeit umgehen, rauchen und dabei nicht mehr nachdenken über Dinge, die ich mich zu ändern nicht in der Lage sehe.
Gibt es am Ende den/die Richtige/n? Ich weiß nicht. Vielleicht zieht man sich besser zurück und lässt die Stürme der Welt draußen vorbeiziehen. Ich bin der Welt abhanden gekommen.

Neulich in ST.Petersburg

Ich hatte diese Woche die Gelegenheit, die Feier zum 9. Mai in St. Petersburg mitzuerleben. Jaja, ich weiß, das verrückte Geprotze einer Weltmacht, die keine mehr ist, ein riesiges Statement des Schwanzvergleichs, eine ideologische Verfälschung der Vergangenheit, um die eigene Rolle zu rechtfertigen. Alles richtig, mag sein.

Aber man sollte auch einmal genauer darüber nachdenken:
1. Sind diese armen Schweine zu Millionen in den Tod gegangen, sahen ihr Land verwüstet und kämpften für die Freiheit der Welt, nur um selbst dann wieder von einem unbarmherzigen Mann mit einem größeren Schnauzer drangsaliert zu werden. Diese Menschen sollte man nie vergessen.
2. War dieser Krieg, der furchtbarste jemals, ironischerweise der Beginn der einigermaßen friedlichen Welt in der wir jetzt leben. Wie unheimlich undankbar und vergesslich die Menschheit doch sein kann: Allein die Tatsache, dass die jüngeren unter uns nie erlebt haben, wie ihr Dorf oder ihre Stadt erobert wurde, wie Plünderungen und Vergewaltigungen auf offener Straße stattfanden ist, historisch gesehen, eine absolute Ausnahme. Man sollte sich, trotz der zugegebenermaßen dennoch politisch nicht gerade rosigen Situation, als Privilegierter sehen.
3. War das beeindruckende nicht die Parade selbst - nun gut, ich persönlich bin ziemlich vernarrt in Sowjetkitsch, aber das ist ja meine Sache- sondern die Stimmung danach. Es war ein sonniger Tag und eine gewaltige Masse von Menschen ging einfach durch die Stadt spazieren, unterhielten sich, genossen ihre Zeit. Man sah wirklich sämtliche Gesellschaftsschichten und -gruppen miteinander feiern und soweit ich es beobachten konnte, in Eintracht. Natürlich, das Ganze ist auch als integrales Event gedacht, aber: Gibt es in Deutschland einen Tag, an dem man wirklich alle Arten von Personen sehen kann? Diese komischen Fußballevents zähle ich definitiv nicht hierzu. Das Problem hierbei ist: Wie will man wissen, wie die eigene Gesellschaft aussieht? Wir sperren Alte, Kranke, Asylanten, Irre, Kinder in ihre jeweiligen Heime und gut ist. Herrlich.
Natürlich ist die Situation in Russland scheiße. Aber wenn man nicht einmal einen ein wenig anderen Gesellschaftsentwurf als den eigenen überdenkt, ist das schon eine Sünde? In Russland kann jeder, wirklich jeder, schreiben, lesen und rechnen. Die meisten können sogar Puschkin zitieren. In Deutschland hingegen sehe ich, wie einem Teil der Gesellschaft entweder der Zutritt verwehrt wird oder eine Parallelwelt entsteht.
Leute, geht raus! Seht euch das Land an, in dem ihr lebt! Und geht nicht einfach nach ein paar Wochen Schuften in euren engen Kämmerlein in eure zusammengesparten Häuschen in Spanien oder sonstwo. Ihr seid mitverantwortlich, genau wie die Menschen, die sich vor 70 Jahren in den Dreck geworfen haben.

Raus, nur raus...

Wie wenig die Dinge, die einem selbst als eigentümlich erscheinen, tatsächlich individuell sind, merkt man nur schwer. Alle anderen ja, ich nein. Man setzt sich ab, möchte sich von Klischees befreien, möchte sich aus den Bindungen lösen, die das Leben einengen könnten. Wie geht man aber dann damit um, wenn man eine tiefe Bindung spürt, wenn man merkt, dass ein anderer genauso tickt, dass das, was in einem selbst schwingt, den anderen genau so berührt. Plato spricht davon, dass man das Göttliche erkennt, wenn man sich selbst im Auge des Anderen wiedergespiegelt erkennt.

Eine Beobachtung, die so tief ist, fasziniert. Die Selbsterkenntnis im Anderen ist tatsächlich eine Art religiöser Erfahrung, sie kann die Verbundenheit hervorbringen, die sämtliche Egoismen unserer Zeit überwindet.

Und das bedeutet keineswegs ein Ende der Freiheit. Wer sich selbst und den Anderen in dieser Weise anerkennen kann, ist in der Lage, die Dinge, die gerne von oberflächlichen Menschen als Fehler, als Risse, Narben, Verwerfungen dargestellt werden, im Gesamtbild zu sehen, als genau so liebenswert wie das Bewundernswerte, Strahlende.

Dieser Tage hatte ich mehrere Gespräche mit Menschen, die mir so nahe und wichtig sind, dass eine Welt ohne sie schwer vorstellbar scheint. Aber das, was die Verbindung ausmacht, ist eben auch das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, das Gefühl der Einengung. Je nach Lebenslage ist es unterschiedlich beantwortbar.

Meinem Cousin beispielsweise, der gerade Abitur gemacht hat, ist seine gesamte soziale Umgebung zu eng, er fühlt sich eingesperrt, isoliert. Ich kenne das. Vielleicht ist das auch genetisch bedingt. Die einzige Antwort, die ich ihm geben konnte war: Geh raus, renne durch die Welt, spür den Wind um deinen Kopf, genieß das Gefühl, frei sein zu können.

Wie es dann später aussehen wird, wenn man ein Nest bauen will, ist eine andere Frage. Aber eins steht fest: Wenn das Herz zu eng ist, hilft auch das Wegrennen nichts mehr.

 

Die Ruhe selbst

Nervosität und Angst bestimmt das Verhalten des modernen Menschen, weil er nicht mehr weiß, wo er hingehört. Dies ist eine positive, keine normative Aussage. Von mir aus können Leute versuchen, wieder zurück zur Natur zu gehen und im Wald zu wohnen. Ich habe ja auch manchmal solche Träume gehabt. Das bedeutet aber nicht, dass ich das propagiere, genau so wenig wie ich Träume von einer untergegangenen, schöneren, alten Welt, in der man weiß, wo man hingehört, was sich gehört, wie man sich zu verhalten hat, habe. Das ist etwas für Heimatfilme und Hallodrihoschlagersänger.

Was war früher besser? Eine einfache Welt? Kann sein, gleichzeitig aber auch Leute, die sich die Welt möglichst einfach erklären wollten, die Nazis beispielsweise. Natürlich waren früher nicht alle Nazis. Aber so ganz ohne Orientierung, ohne Standpunkt, geht man da nicht kaputt - Wahrscheinlich.
Die Nervosität kommt allerdings auch daher, dass man alles an sich herankommen lässt. Ich interessiere mich für Russland, aber die Wahl gestern hat mich nicht so sehr aufgeregt oder bewegt, genau so wenig wie ich die Wulff-Affäre so richtig interessant fand. Souveränität bedeutet auch, dass etwas einem mal egal sein kann. Gestern saß ich zu Hause und machte mir einen schönen Tag. Ich habe niemandem weh getan und hatte keine Gewissensbisse. Das heißt nicht, man solle sich nicht engagieren, aber doch nicht unter dem Preis, dass man sich selbst kaputt macht.
Ich habe die Stoiker schon immer geliebt. Apathia, Autarkia, Atarxia; zu Deutsch Leideschaftslosigkeit, Selbstgenügsamkeit, Unerschütterlichkeit. Ein bisschen mehr von diesen Eigenschaften könnte sehr helfen.
Und manchmal ist die große, böse Welt auch ein bisschen egal, wenn man eine warme Decke und Marmeladenbrote hat.

Zugegeben

Zugegeben: Ich bin etwas skeptisch Weltverbesserern gegenüber. Nicht selten, so hat man das Gefühl, handelt es sich um Menschen, die für sich persönlich Aufmerksamkeit wollen und deswegen dasjenige Problem, mit dem sie sich befassen, für alles entscheidend halten. Beispielsweise bin ich gegen Pelze, aber jemanden tätlich anzugreifen, der welche trägt, halte ich für ziemlich nazimäßig und, wenn man diese Attitüde auf Angehörige anderer Kulturen überträgt, für etwas menschenverachtend. Sollte ich Russen generell für schlechte Menschen halten, nur weil sie mehr Pelz tragen? Eher nicht.

Das heißt aber nicht, dass es nichts gibt, was mich nicht bewegen würde und wofür ich nicht gerne auch andere begeistern würde. Ich beschäftige mich in letzter Zeit ziemlich stark mit Osteuropa, zunächst aus rein kulturellem, mittlerweile auch aus politischem Interesse. Ohne jetzt irgendwie arrogant klingen zu wollen: Ich finde Europa unheimlich interessant und es verwundert mich immer ein bisschen, warum Menschen unbedingt nach Australien müssen, wenn sie Europa nicht einmal gut kennen; ganz zu schweigen von Osteuropa. Ich kann nur raten: Man sollte hinfahren, sich mit den Leuten beschäftigen. Elend gibt es auch vor unserer Haustür und so lange der Balkan sich noch in dieser Lage befindet, sollte klar sein, dass die Menschen aus der Geschichte rein gar nichts lernen.
Ich hoffe, das die EM die Sicht auf diese Region ein wenig ändern kann. Wenn nicht wieder die Bumsbomber rüberfliegen, um Frauen einkaufen zu gehen.

Individuelle Profilbildung

Wunderschönes Ding bei diesen lustigen Bewerbungsformularen im Internet ist ja der vielversprechende Kasten "Was wir sonst noch über Sie wissen sollten". Diese stasimäßige Abkackvorgehensweise soll dazu führen, dass man da lustige Dinge darüber schreibt, dass man noch mehr ist als eine graue Maus, die als Rad im Getriebe gut geölt tagein tagaus dieselbe Scheiße für die Sackratten da oben (bzw. die vielgeliebten Aktiönäre, die ja so hohe Erwartungen haben, die man ja nicht enttäuschen will) abrackert.

Nein, dass es meinen Arbeitgeber in spe oder momentan interessiert, ob ich in meiner Freizeit lieber Wandern gehe oder mir stumpfe Gegenstände quer in den Arsch schiebe, muss ja bedeuten, dass ich mich mit meiner Firma genauso gut identifizieren kann wie sie mit mir, denn ich bin ja ein Mensch, etwas besonderes. Gequirlte Kacke.

Und ein besonderer Mensch muss seine Persönlichkeit auch auf eine besondere Weise entwickeln, daher gibt es schöne Seminare zur individuellen Profilbildung.So sieht eine menschliche Arbeitswelt aus.

Dass mein Hauptproblem eher nicht darin liegt, meine Persönlichkeit weiterentwickeln zu wollen, sondern dass es mir viel lieber wäre, mal zu lernen, wie man sich ordentlich die Schuhe bindet oder nicht an jedem verdammten Scheißlampenschirm oder Regal mit dem Kopf hängenzubleiben, interessiert sicher niemanden, denn so lange ich mir dabei keine massive Gehirnerschütterung zulege, ist das ja auch wurscht. In diesem Sinne: Auf die schöne neue Welt, wo ihr von freundlich lächelnden nichtssagenden Einheitsfressen bedient und versorgt werdet. Ein Profil abzureiben ist auch eine Art es umzubilden, denn kein Profil ist auch ein Profil.

Brücken abbrennen

Perspektiven ergeben sich nicht von selbst. Manchmal muss man von außen auf Dinge hingewiesen werden, muss es wagen, sich führen zu lassen. Das widerspricht natürlich dem Selbstbild ungemein, denn man umgibt sich gerne mit der Vorstellung, selbstbestimmt zu leben, alle Entscheidungen alleine zu treffen.

Natürlich ist das eine Illusion, oder wir suchen uns Entschuldigungen, um nicht so zu sein, wie wir wollen, gibt traumatischen Erlebnissen die Schuld, den Eltern, alten Freunden. Eine gute Möglichkeit, um unglücklich zu werden, ist es, die Vergangenheit zu idealisieren, sagt Watzlawick; genau so gut, so füge ich hinzu, ist es, die Vergangenheit komplett schlecht zu machen, denn das führt dazu, dass das gesamte Leben als nicht wert, gelebt zu werden erscheint.

Ich habe auf die zweite Weise gedacht und es hat dazu geführt, dass ich tatsächlich mein Leben als eine Aneinanderreihung von unerfüllten Träumen, zerstörten Plänen und persönlicher Isolation gesehen habe.

Doch eine dermaßen extreme Sicht stimmt nicht, es gibt und gab das Lachen, die Freude. In jedem Leben.

Ich habe festgestellt, dass es auch für diejenigen, die Begleiter waren auf dem Weg, eine Beleidigung sein muss, wenn man so denkt. Haben sie nicht viel versucht, unser Leben reicher zu machen? Können wir es ihnen antun, alles als Müll wegzuwerfen, was war, nur weil wir uns gerade nutzlos und schwach vorkommen?

Nein, das kann zumindest ich nicht. Ich fühlte mich nutzlos und schwach und wer weiß, wahrscheinlich bin ich es auch ein wenig. Aber das berechtigt mich nicht, Gift auf alles zu spritzen, was war und was ist.


Anleitung zur Aufgabe

Schön, wenn nach dem Geist auch noch der Körper so langsam vollkommen zu spinnen anfängt. Wie lange kann man sich so herumschleppen? Ich bin die beiden Kämpfenden und der Kampf selbst. Körper prügelt Geist prügelt Körper. Irgendwo versucht man, noch eine Art von Kontrolle aufrecht zu erhalten, aber es scheint nicht zu gehen. Auf irgendjemand anderen habe ich mich noch nie gerne verlassen, nicht unbedingt, weil ich so viele schlechte Erfahrungen gemacht habe - einige natürlich- sondern weil ich mich selbst immer so weit weg von allen anderen Menschen gesehen habe. Und ist es nicht objektiv auch so? Im Umkehrschluss braucht mich auch kaum jemand. Mag hart klingen, aber das ist das Leben, in das ich hineingekommen bin; oder mich selbst hineingebracht habe.

Ein unnützer Mensch. Ein Asozialer, Soziopath. Eigentlich eine Schande, dass die Gesellschaft dafür aufkommen muss, wenn ich jetzt Hilfe brauche. Gleichzeitig wird auch genügend Leuten geholfen, die das nicht wollen.
Das Wort "Problem" heißt eigentlich "Felsvorsprung"; ein Ding also, das ein Weiterkommen verhindert und das irgendwie umgangen werden muss. Was aber, wenn gerade die Tatsache, dass "es" weitergeht, das Problem ist?
Dass ich jammere, ist eigentlich auch nicht richtig. Natürlich gibt es Menschen, die ärmer dran sind als ich. Schön wäre es dennoch, eine Art von Perspektive zu haben.

Stream of unconsciousness

Bittere Pillen helfen manchmal auch nichts, oder sie machen unter Umständen manches schlimmer. Sämtliche Medikamente, bei denen man erst einen Spiegel aufbauen muss, sind eine ziemliche Qual für nervöse, leicht kontrollbedürftige Menschen, weil man nicht weiß, wann die Wirkung kommt und wann nicht. Ständige Selbstbeobachtung und die Frage nach dem Placeboeffekt führen zu einer Überbewertung jeder Unregelmäßigkeit, sei sie geistig oder körperlich. Man fühlt sich, als warte man auf etwas, aber nicht genau, was, von dem man nicht weiß, wann es wie kommt. Seltsame Situation. Gleichzeitig reflektiert man über das, was "normal" sein soll, denn eine wirkliche Unterscheidung zwischen Normalem und Krankhaften an sich selbst ist schon perspektivisch kaum zu machen.

Wenn man sich umsieht, scheint es, als ob jeder ein bisschen aus der Bahn geworfen sind, oder liegt es daran, dass sich solche Arten von Menschen einfach gegenseitig anziehen?
Ich sah in der U-Bahn einen Obdachlosen, der 10 Minuten gebraucht hat, um seine Hose zu wechseln. Daneben standen aufgemotzte Püppchen, die sich über irgendwelche Fernsehserien unterhielten. Ich weiß nicht, was das mit irgendetwas zu tun hat, aber es geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Nichtstun

Mehrere Gründe gibt es, warum ich mich nicht gerne an die Schulzeit erinnere, zumindest große Teile davon. Einer davon war, dass ich im Grunde immer in die Schule musste, egal wie schlecht es mir ging; eine Art preußischer Disziplin; mein Vater war in seiner gesamten Berufslaufbahn insgesamt nicht einmal drei Wochen krank gewesen und wo soll das hinführen, wenn man einfach blau macht? Ich hatte so gut wie keine Fehlstunden. Das Ganze hat sich weitergezogen, bis heute halte ich es kaum aus, einen ganzen Tag das Haus nicht zu verlassen, schleppe mich in jedem Zustand heraus und wehe, wenn ich einen Tag lang nichts tue.

Wollte ich es mir leichter machen, ich würde meinen Eltern vorwerfen, dass sie mich in ein furchtbares Leben geworfen haben; ein rastloses, ohne echte Ruhe, ohne Müßiggang, mit der Pflicht, jeden Tag produktiv zu sein und sonst ein schlechtes Gewissen zu haben. Aber so einfach ist es nicht. Ich bin sehr gerne aktiv und habe auch sehr gerne große Pläne, für die ich immer vorarbeiten muss. Das führt aber dazu, dass ein Tag ohne Arbeit tatsächlich ein verlorener Tag ist.
Wenn ich tatsächlich krank bin, wie heute, werde ich beinahe wahnsinnig, kämpfe gegen mich selbst, aber nichts geht voran, nichts will mehr. Aber Terminkalender und Fristen kennen keine Gnade in dieser Hinsicht und sonst eigentlich auch nicht. Man möge hoffen, es werde anders, am wichtigsten aber wäre es, sich selbst ein bisschen zurücknehmen zu können, damit wäre schon viel getan.
Mehr geht heute aber wirklich nicht.

Stabilität

Für alle diejenigen, für die der Beginn dieses Jahres ein Neuanfang war, oder die einen Neuanfang daraus machen wollen: Ich drücke euch die Daumen. Was jedoch gerne vergessen wird, ist, dass neu anfangen nicht ohne reduzieren etwas anderen funktioniert. "Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag", wie Brecht sagt, und anders herum ist das genau so. Schön und gut, wenn man sich entschließt, im Leben andere Prioritäten zu setzen, das bedeutet aber, dass man weniger Zeit mit Unwichtigem verbringen kann. Das fällt definitiv schwer, besonders, wenn dies an Personen geknüpft ist. Natürlich fühlt es sich so an, als würde man eine Beziehung wegwerfen; aber meist entwickelt sich das doch sehr organisch: Man verliert sich aus den Augen, hat weniger Gemeinsamkeiten und irgendwann vergisst man sich.

Es ist tatsächlich eine schnelllebige Zeit, in der wir uns befinden, aber gerade diejenigen Leute (und zu denen zähle ich mich mit Einschränkungen ja auch), die über diesen Planeten fliegen und es so supertoll finden, überall neue Leute kennen zu lernen, müssen mit dem Problem leben, dass ihre Freundschaften kurzlebig oder oberflächlich sind; oder beides.
Da tut es gut, zu reduzieren; das heißt, sich einen Personenkreis herauszufiltern, mit dem man in engeren Kontakt bleiben kann. Ich glaube nicht so sehr an Vorherbestimmung, als das dies auf eine besondere Personenkonstellation zurückzuführen ist: Manchmal bleibt man über Jahre mit Leuten in Kontakt, mit denen man auf den ersten Blick nichts zu tun hat; manchmal entwickeln sich Beziehungen aus der Distanz, manchmal gehen gerade die intensivsten Freundschaften innerhalb weniger Wochen komplett auseinander. Wichtig nur: Kein schlechtes Gewissen. Wenn man sich aus den Augen verliert, heißt das nicht, dass das Vorherige bedeutungslos war.
Sich selbst zu überlasten ist nie eine gute Idee. Ich muss das genauso lernen wie alle anderen auch.
Das, was -auf die lange Sicht hin- stabil ist und sich gut anfühlt, sollte man möglichst versuchen, beizubehalten. Das wünsche ich auch mir selbst für das neue Jahr.

Mühlmengler denkt hurtig nach

Zum Ende dieses Jahres nochmals zu einem sehr persönlichen Problem, das meiner Meinung und Erfahrung nach aber einen ganzen Haufen Leute betrifft, wenn nicht sogar so ziemlich alle; ich meine damit das Gefühl der Überforderung, beziehungsweise, gegen sich selbst gerichtet, das Gefühl, dass man den Ansprüchen, die das Leben, das soziale Umfeld, der Staat und am allerschlimmsten, man selbst an sich stellt, nicht genügen kann. Für mich ist das ein absolut furchtbares Gefühl; das Leben erscheint als riesige ToDo-Liste, auf der so gut wie keine Haken sind. Und dann schlimmste, einige Haken muss man früher setzen als andere, obwohl man das Gefühl hat, dass sie gar nicht passen.
Alles sehr unkonkret, ich weiß. Man summiere einmal auf: Ein paar Stunden Schlaf, Arbeit -welche auch immer- Kochen, Essen, auf dem Laufenden bleiben, Zähneputzen, sich und seine Sachen waschen, alle Paar Wochen zu Friseur, Arzt, Zahnarzt, Steuerberater und dann noch diese unsäglichen sozialen Kontakte. Und dann versuche einer mal, etwas vollkommen Neues in diesen Haufen zu bringen: Ein neuer Job, eine neue Beziehung, neuer Wohnort und so weiter.
Man möchte meinen, dass dies alles delegierbar sein und auch delegiert würde, allerdings funktioniert das selten, außer bei Adeligen und Multimillionären. Die einzige Devise sollte also lauten: loslassen. Doch wie? Ohne Job geht nichts, wer verwahrlost, hat bald keinen mehr und weniger Freunde obendrein.
Was fehlt, ist Struktur. Wer sich an das Buch "Momo" und diese absurde Gestalt des "Beppo Straßenkehrer" erinnert, kennt vielleicht das Paradigma: Kopf hoch, Schritt, Besenstrich.... Der ganze Kram, der außenherum hängt, erdrückt selbst die leichteste Aufgabe. Wer beim Essen bereits den übernächsten Urlaub plant, der erschlägt sich selbst.
Natürlich ist das leichter gesagt als getan, insbesondere da die Medienwelt immer weitere Möglichkeiten anbietet, sich zu beschäftigen. Die Fernsehsender sind voll von Menschen, die letzten Endes nichts tun und damit sind nicht nur fiktionale Charaktere gemeint, sondern gerade solche Leute, die sich selbst als "Promi-Experten" deklarieren. Doch das nur nebenbei, wichtig ist immer, zu sehen, dass auch diejenigen, die wir nur in schicken Abendklamotten feiern sehen, dafür auch einen gewissen Preis zahlen, neben der nervigen Aufmerksamkeit durch unangenehme Menschen auch normale, harte Arbeit, zumindest gilt das für diejenigen, die tatsächlich Künstler sind. Die Drogenexzesse gibt es nicht nur aus Langeweile, da bin ich mir sicher.
Was bedeutet das für das neue Jahr? Macht euch einfach nicht so große Gedanken, dass alles in eurem Leben perfekt verlaufen muss. Habt große Träume, aber keine großen Pläne. Ein wichtiger Unterschied. Und wovor ängstigt iht euch wirklich? Ihr werdet nicht verhungern und soweit ihr Freunde habt, werden die euch auch nicht einfach davonlaufen. Wenn eine eurer Aktien abstürzt, so ihr welche habt, kann das an den Grundfesten nichts ändern. Ladet euch nicht zu viel auf. Und wenn etwas nicht klappt, verzweifelt nicht. Wenig ist wirklich selbstverständlich, am wenigsten Erfolg.
Und noch etwas: Macht euch nicht selbst für alles verantwortlich. Natürlich sind die Leute, die bei allem die Schuld von sich weisen, furchtbar. Aber ihr müsst nicht euch insgesamt in Frage stellen, weil etwas nicht so richtig läuft.
In diesem Sinne: Ein gelassenes und frohes neues Jahr.

Kim Jong-I

Warum es mich ausgerechnet drängt, über einen Menschen wie Kim-Jong-Il zu schreiben, weiß ich nicht genau, es liegt wahrscheinlich an einer gewissen zynischen Ader, die ich selbst gerne überdecke, oder daran, dass das Lächerliche mich noch mehr reizt, wenn es mit dem Dämonischen so nahe verbunden ist. Denn, seien wir ehrlich, wer konnte diesen Mann auf dem weißen Pferd ernst nehmen? Seine bödsinnigen Filme, seine Inszenierungen, seinen Militarismus? Eins ganzes Leben, nur gebunden an die Suche danach, ernstgenommen zu werden. Und das in Kategorien, die er selbst vorgefunden hat, die er sich nicht ausgesucht hat.
So schlimm es auch scheinen mag, so groß das Leiden auch ist, das aufgrund des Lebens dieses Mannes geschah, ich empfinde tiefes, tiefes Mitleid wenn ich an ihn denke. Ein schwächlicher Junge, aufgewachsen in einer Traumwelt, wird dazu gezwungen, seine Träume einem Staats- und Parteiwesen unterzuordnen, in das er hineingezwungen wurde. Absurde Militäruniformen als Staffage eines Theaterstücks, in dem der Hauptsdarsteller weit weniger Treiber als Getriebener war, in einem System, das keiner so wirklich wollte, aber zu dem niemand eine Alternative finden konnte. Die Atombombe? Ein Schrei eines Spätspätpubertierenden nach Beachtung, ein Heraustreten aus dem Schatten eines Vaters, an den er nicht heranreichen konnte, aber ein Heraustreten in den ewig gleichen Formen, da er keine anderen gelernt hat. In einer Welt, in der "Weisheit", "Liebenswürdigkeit", "Freundlichkeit" dem Führer sowieso schon angehängt werden, wie soll er dann wissen, dass dies nicht nur leere Bezeichnungen, sondern Maximen sind?
Wir sollten uns davon verabschieden, die Welt in dem Paradigma "Glückliches Oben- unglückliches Unten" vorzustellen. Spätestens seit dem Ödipus muss man wissen, dass der Mächtige auch ein Leidender sein kann, ja muss.
Kim, der Playboy mit der gewaltigen Pornosammlung, er hatte daran wahrscheinlich genausowenig Freude wie an Militärparaden und der Allmächtigkeit. Das ist auch eine Form von Langeweile.
Wie ich schon einmal angedacht habe: Die Freude ergibt sich vielleicht tatsächlich aus der Möglichkeit des Verlustes. Wer vom Abgrund zurücktritt, spürt das Leben. Wer nicht spürt, hat keine Freude. Das ist so einfach. Aber für Viele tragisch. Frohe Weihnachtstage und denkt an das, was ihr habt. Es ist nicht selbstverständlich, nicht einmal die Luft zum Atmen.

Man stelle sich einmal vor, es hätte tatsächlich geklappt, oder klappt noch, die Menschheit erfindet irgendwelche Techniken, Roboter, oder sonstetwas, damit niemand mehr arbeiten muss, alle könnten auf ordentlichem Niveau überleben, jeder kann dem nachgehen, was ihm passt. Ich glaube, in diesem Fall würden es nicht lange dauern, bis sich die Menschen ordentlich gegeneinander die Schädel einschlagen würden; das taten und tun sie zwar bis jetzt auch schon, aber wahrscheinlich nicht so krass. Ich bin durchaus kein Misanthrop, aber was die Menschen noch mehr hassen als Arbeit und Stress sind Langeweile und Zufriedenheit. Der Mathos vom Schlaraffenland ist paradox. Die Vorstellung, dass es 1. kein Privateigentum und deshalb 2. auch keine Notwendigkeit für Ehrgeiz gibt kann meiner Meinung nach kaum jemand tatsächlich entwickeln, die Geschichte hat das gezeigt. Außerdem, was würde man dann noch tun? Man könnte sich endlich mit Musik, Literatur, Philosophie beschäftigen. Genau. Aber was wäre der Inhalt der Lieder und der Bücher? Ohne Probleme auch keine Kultur, so komisch das auch klingt.
Das klingt leider sehr pessimistisch. Aber, einmal ganz ehrlich, ist es wirklich so schlimm, aufzustehen und irgendetwas mit dem Leben anzufangen, irgendetwas anzupacken? Die Welt kann nicht perfekt werden, das verhindert die menschliche Einstellung, besser aber sicherlich.

Deutsche Tugenden Teil 2

Kann man sich wirklich vorstellen, was eine gesunde Müdigkeit wert sein kann? Menschen wirken teilweise wie Zombies, die sich mit Koffein und Beruhigungspillen selbst ständig manipulieren und das sind nur die erlaubten Dinge. Dazu kommt der allgemeine Volkssport, sich über Stress zu beklagen. Wer wirklich in der Lage ist, zu sagen, dass er seinen Tag gut durchplant, einfach nur frühs aufsteht, 8 oder mehr Stunden arbeitet, nach Hause geht, kocht, Sport macht und sich dann ins Bett legt, zwar geschafft, aber nicht nervös, wird bei der Masse an Hypochondern, die diesen Planeten bevölkern, schnell auffallen. Um das klar auszudrücken, so etwas hat nichts mit Spießigkeit oder Konservativismus zu tun. Die Legende davon, dass beispielsweise Literaten, Künstler und Philosophen nichts mehr taten oder tuen als bis in die Puppen zu schlafen, dann ein bisschen Kaffee zu trinken, lesen und dann Meisterwerke niederschreiben ist genau so falsch wie hartnäckig. Hemingway saß diszipliniert 6 Stunden am Tag am Schreibtisch, erst danach kamen die Jagd- und Saufeskapaden, die ihn auch nicht davor retteten, mit dem Leben nicht mehr klarzukommen. Selbstdisziplin heißt insbesondere Selbstwertschätzung; das sollte man nicht vergessen.

Deutsch am 23.10.

Was ist deutsch? Ordnung, Verlässlichkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Sauberkeit. Möchte man meinen. In den meisten deutschen Haushalten herrscht jedoch in Bezug auf diese Dinge das gleiche laissez-faire wie man das beispielsweise von Italien oder Spanien annimmt.

„Die Deutschen sind eben locker geworden" Da stellen sich die Fragen, ob das erstens stimmt- die meisten verhalten sich im Alltagsleben immer noch so als hätten sie eine ganze Eiche im Arsch- und ob das zweitens grundsätzlich eine gute Sache ist.

Erstens sieht es bei nicht wenigen Leuten aus wie im Schweinestall und da die Leute nur noch selten Teppiche haben, unter denen sie ihren gesamten Müll kehren können, liegt er einfach so herum und vergammelt. So lange von dieser Art von Saustall keine anderen Personen betroffen sind, mag das ja noch angehen, aber in vielen Fällen grenzt dies an Respektlosigkeit. Und mittendrin liegt der verfickte IKEA Katalog, der Traum vom besseren Leben. Herzlichen Glückwunsch.

Wo das tiefergehende Problem liegt, ist jedoch die Art und Weise, wie diese Art von Liederlichkeit auch in das Sozialleben übergegangen ist. Beziehungen, Gespräche, Freundschaften, alles nur so wischiwaschi und gut ist. Nicht dass ich das theatralisch-überzogene aus diesen ganzen Schnulzen für mein Privatleben wünschte. Aber es ist doch auffällig, wie sehr die Menschen auch hier diesem Ideal nachzueifern scheinen, während sie in ihrem Alltagsleben genau das gegenteilige Verhalten an den Tag legen.

 

12.10.

Nach einem Trip über diesen ganzen Planeten wieder einmal hier eingecheckt und was muss ich sehen? Nichts wurde verändert, alles gammelt nur so vor sich hin! Pagen, Hausmädchen, Gebäudereinigerinnen (oder wie sagt man nochmal "Putze" ohne zu beleidigen) waren den ganzen Sommer über anscheinend mit anderweitigen Dingen beschäftigt. Ein bisschen gegen Griechenland pöbeln hier, über die Grünen diskutieren da und dann stirbt am Ende Steve Jobs und das soll die Katastrophe sein? Natürlich ist die Art und Weise wie sich die Journalistenmeute jetzt an seinem Lebenswerk weidet und ihn als einen Propheten und Visionär sondergleichen darstellt hochwiderlich; beinahe genau so hochwiderlich wie Apple seine Produkte immer noch als Rebellion gegen einen wie auch immer gearteten Mainstream verscherbelt (man sehe sich einmal bei youtube den Werbespot von 1984 an, in dem Apple Produkte als Durchbruch gegen das "1984" Szenario von Orwell dargestellt wird). Wer "1984" wirklich einmal gelesen hat, der weiß, dass die absolute Diktatur dort nur funktioniert, weil es ein ewiges, herumwaberndes Feindbild gibt. Auch die Freiheit, die Apple verspricht, ist Sklaverei.

Zugegeben: Jobs war ein herausragender Redner und seine Präsentationen waren großartig, dies allerdings nur weil er sie wie einen religiösen Kult aufgezogen hat. Auch in einer scheinbar säkularisierten Welt fallen Menschen noch gerne auf derlei Quatsch hinein. Wenn es sie glücklich macht, bitte.

13.7.

Rückschritt ist nicht Stillstand, um einmal einen sowieso sehr gedankenlosen Satz der objektiv betrachtet sehr passiven Leistungsgesellschaft in umgedrehter Form zu widerlegen, wie soll denn auch Bewegung gleich Nichtbewegung sein? Rückschritt im wörtlichen Sinne, also das Zurückschreiten von dem kleinen Ding, Betrachtung des großen Ganzen aus der Geamtperspektive, nur möglich bei genauer Betrachtung und noch wichtiger, durch Nachfühlen des Erlebten ist integrativer Bestandteil eines jeden echten Forschritts.

Natürlich haben Arschgranaten in fetten Ledersesseln von Hegel wenig Ahnung- abgesehen von dieser blödsinnigen These-Antithese-Synthese Aufsummierung, die Hegel so niemals in den Mund genommen hat- sonst wüssten sie, wie dieses Jahrtausendgenie den Rückschritt tatsächlich betrachtet hat, beziehungsweise den versuchten Rückschritt, nämlich als die Voraussetzung für radikale und grundlegende Neuerung. Wer sich selbst kritisch betrachtet, kommt weiter.

10.6.

Wieder zurück nach endloser Zeit. Zurück bei Oma am Küchentisch. Wer eine Großmutter hatte oder hat, kann sich glücklich schätzen und zwar nicht nur, weil einem oft kleine Geldgeschenke zugesteckt werden (besonders, wenn man sich nicht traut, andere Leute anzupumpen), sondern auch und vor allem, weil alte Frauen eine Lebensweisheit angesammelt haben, die sie, im Gegensatz zu alten Männern, die oft verbittert und deshalb schweigsam sind, gerne weitergeben. Meine Oma hat mir beispielsweise beigebracht, wie man ordentliche Einbrenne herstellt, etwas, was mir das Internet, mehrere Kochbücher und meine eigene Erzeugerin nie beibringen konnten. Außerdem ist sie, im Gegensatz zu meinen Eltern, sehr verzeihend, was Jugendsünden angeht, obwohl sie selbst sich nach eigenen Angaben erst einmal im Leben die Lippen geschminkt und nur einmal an einer Zigarette gezogen habe, was aber in dem einen Fall dazu geführt habe, dass sie "wie eine Hure ausgeschaut", bzw. in dem anderen, "ordentlich gekotzt" habe. Wie heutzutage, gerade von der eigenen Familie, mit alten Menschen umgegangen wird, ist eine Sauerei.

11.03.

Gespräch mit einer Psychotante gehabt, die meinte, dass ich in meiner Seele forschen müsste, um herauszufinden, was bei mir nicht stimmt. Da ist sie aber mal sauber an den falschen Verrückten geraten! "Glücklich der, der ein Symptom hat" hat Fromm gesagt.
In dieser Logik bin ich wohl glücklich. Auch wenn man natürlich beständig an sich arbeitet, insbesondere an der Soziopathie, die, einstmals vollkommene Blockade, mittlerweile vollkommen verschwunden ist  zugunsten einer halbgaren Existenz als "everybody's darling", die natürlich die Endstufe nicht sein kann, nur ein Schritt in der Entwicklung, die dann der Tod auf seine uncharmante Weise unterbrechen wird. Oder nur fortführen, wer weiß...
Im Moment sitze ich in Unterhose herum und gehe total auf Joy Division ab; genau wie Ian Curtis bevor er verglüht ist; es ist aber nicht schlimm, zu verglühen, wenn man lange genug ein Stern gewesen ist. Das ist ein guter Satz finde ich jetzt. Den kann man in den Tag mitnehmen.

 

28.2.

Im Januar habe ich mit einem Journalisten gesprochen, der Teile meiner Aussagen in einen Artikel verwurstet hat und ich muss sagen: Ich beneide diejenigen Leute, die Interviews geben und diese danach nochmal gegenlesen dürfen. Andererseits beneide ich diejenigen Leute nicht, denen tagtäglich das Wort im Mund herumgedreht wird von einer Bande schmarotzender Widerlinge, die meinen, ihre reißerischen Verleumdungen seien genau das, was eine geifernde Leserschaft will.
Ich kann es absolut niemandem verdenken, wenn er angesichts der momentanen Weltlage, aufgrund mancher Menschen und wegen Enttäuschungen und Verletzungen zynische Phasen hat. Das Böse existiert, machen wir uns nichts vor, den "homme de la la nature et la verité" Rousseaus gibt es nicht. Allerdings: Zu denken, dass man die Sensationsgeilheit von Menschen bedienen müsste, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt sensationsgeil sind, ist so unglaublich bösartig.
Natürlich sind auch das enttäuschte Idealisten, die einst gedacht haben, man könne gut sein und Gutes tun und alle applaudieren. Aber ist das Gute nicht so viel mehr wert, wenn man es tut, obwohl niemand applaudiert? Zerstört nicht die Gier nach der Zustimmung anderer den Wert dessen, was man tut?
Es tut mir leid, wieder einmal bin ich total vom Thema abgekommen, um über die abstrakten Probleme zu reden, die sowieso niemand lösen kann.
Fakt ist: Wenn Journalisten weiter glauben, sie könnten die Menschen nur erreichen, wenn sie sich auf das Niveau der aus ihrer Sicht "niederen Menschen" herabbegeben, so erzeugen sie dieses Nivau erst beziehungsweise stabilisieren es.

16.2.2011

Die Zeiten waren hart und der Schnaps billig...viel zu billig. Man kommt auf jeden Fall ins Grübeln, wenn man sein Zimmer auflöst, die Regale abbaut und die ganzen Spuren eines Lebens auffindet, das einsmals das eigene gewesen ist.
Denn was zählt am Ende? Ich habe eineinhalb Jahre damit verbracht, eine Liste im Internet zu füllen, auf der Zahlen stehen, die meinen Wert bedeutet und jetzt rekonstruiere ich den Arbeitsprozess, der mich dorthin geführt hat... Er war hart, er war lang, er war größer als ich ihn mir je vorgestellt hatte.
Und ist es mit dem Leben nicht genau so? Kriegt man am Ende ein Zeugniss ausgestellt, das besagt: "Ja, du warst ein guter Mensch, bis auf diese, jene und diese Sache, die du falsch gemacht hast?" Sind die Fehler wirklich absolut falsch oder werden sie das erst im Rückblick? Hätte ich anders leben können, beziehungsweise, kann ich die Art, wie ich gelebt habe, rechtfertigen, gegenüber mir, gegenüber anderen?
Das sind Fragen an den Wind. Bald kommt der März, das ist der letzte Monat vor dem April, in dem mir immer die scheußlichsten Dinge überhaupt passiert sind. Ist es nicht komisch, dass sämtliche Medien dieses Aufblühen des Lebens preisen, genau zu der Zeit, wenn ich mich beinahe ausschließlich mit dem Tod beschäftige?

7.2.2011

Dieser Text ist überfällig und ganz und gar nicht überflüssig. Er setzt an zur Verteidigung eines Nahrungsmittels, das vollkommen zu Unrecht schlecht gemacht wird: Pommes frites.
Alle elitären Reformkostschnösel mögen nun lachen, aber: Die Tatsache, dass es Pommes gibt und zwar beinahe überall und zu jeder Zeit ist Produkt von mehreren zivilisatorischen Höchstleistungen, die ich hier nur anzureißen in der Lage bin: Damit der gesamte Ruhrpott sich beinahe täglich so trefflich ernähren kann, musste Kolumbus 1492 die furchtbare Enttäuschung hinnehmen, nicht Indien gefunden zu haben, Pizarro (nicht der Fußballspieler) musste hunderte oder tausende Menschenleben opfern, um neben den gesamten Goldvorräten der Inka auch die noch weitaus wertvollere Kratoffel endlich nach Europa zu bringen, damit dort Friedrich der Große (man kennt die Geschichte) sie seinen Untertanen unterjubeln konnte. Hierauf musste Edison zunächst den AC, dann Tesla den DC erfinden, um den Strom für die einmalige Erfindung der Friteuse beizuschaffen, damit endlich, im Zuge der 60er und 70er überall in Deutschland schöne Büdchen ihre Kundschaft nebst Bier und Zigaretten auch mit Pommes beglücken konnten!
500 Jahre Zivilisationsgeschichte! Und ich soll, nach der Meinung von Leuten, die Grüne wählen und ihre Brut mit dem SUV zum Golfplatz bringen, irgendwelches Wurzelgemüse als Rohkost essen, das die armen Ureinwohner in Südamerika oder Afrika aus dem Boden graben? Bin ich denn bescheuert?
Nein, lobpreiset die Pommes, wertvoller Energielieferant voller Geschmack, immer verfügbar, immer zuverlässig, immer da, wenn man sie braucht. Manchmal wünscht man sich, die Menschen wären so.

3.11.

Wunderschönes Ende des Jahres, das ich traditionellerweise damit begehe, einen Terminplaner zu kaufen und irgendwelche Pläne für das nächste Jahr aufzuschreiben. Das gibt das wunderbar sichere Gefühl, dass trotz des ganzen Chaos irgendeine Form von Ordnung doch noch besteht, in diesem kleinen schwarzen Büchlein, beinahe wie ein heiliger Ort. Ich schreibe natürlich mit Kuli, damit man nichts so einfach wieder löschen kann wie bei diesen Hochleistungstechniktouchscreengeräten, auf denen Anzugmenschen so gerne herumtippen, die einen Termin über den anderen schmeißen und eine Absage nach der anderen bringen.

Auch wenn ich aufgrund meiner Arbeits- Plan- und Beziehungslosigkeit so gut wie keine Termine habe: Die nehme ich wenigstens ernst. Es ist immer bescheuert, mit jemandem zusammenzutreffen, der im Grunde genommen mit dem Kopf schon an einem anderen Ort ist oder einfach direkt vorher absagt.

Elektronisch lassen sich die Buchstaben löschen.

Der Kuli bleibt oder hinterlässt unschöne blaue Riesenflecken beim Durchstreichen.

23. 10.

Das Licht ist irgendwie kaputt oder geht nur ab und zu, ich esse nur Sachen, die ich mir telefonisch bestellen kann und die Unterhosen gehen so langsam zur Neige. Unter dem Türspalt hindurch fällt ab und zu ein bisschen Licht, das Schatten wirft, wenn jemand vor der Tür steht, um sich zu beschweren, dass es so bestialisch stinkt, aber ich rieche das nicht mehr, bin ja seit Wochen verschnupft, aber was soll ich da machen, zum Arzt gehen lohnt ja eh nicht, der würde sich wohl eher meine Leber- oder Cholesterinwerte ansehen wollen. Überhaupt, wozu sollte man das Haus noch verlassen? Es ist doch alles da, was man braucht, Fernseher, Kühlschrank, Bett. Und die Badewanne, in der man mit Hilfe von viel Eis hervorragend Bier kaltstellen kann.

Die moderne Zivilisation hat das Paradies zurückgebracht. Und der Großteil der Bevölkerung lässt sich durch "Jobs", "Freizeitaktivitäten" und "soziale Beziehung" daraus verjagen. Naja, Äpfel ess ich ja sowieso nicht so gerne.

27.09.2010

Was die Leute nur wieder alle haben! Hartz-4 Debatten, kein Geld mehr für Schnaps und Zigaretten und so weitert und so fort! Wer kann sich dabei noch aufs wichtige konzentrieren: Die Zeit zwischen Aufwachen, Mittagsschlaf und Einschlafen mit sinnvoller Tätigkeit zu füllen, wie zum Beispiel stundenlang verzweifelt versuchen, den Reißverschluss an einer Jogginghose zuzuziehen, bis man merkt, dass man gar keine anhat!

Aber wer interessiert sich bitte für solche Tragik? Keiner! Alle wollen immer nur die großen Probleme lösen, die Atomkriege verhindern, Integration vorantreiben, sinnvolle Reaktionen auf die demografische Veränderung suchen und ähnliche Sachen. Wer interessiert sich denn schon wirklich dafür, was für Probleme der kleine Mann hat? Ich beispielsweise rege mich sehr oft viel mehr darüber auf, dass der Bus zu spät kommt als über Massenarbeitslosigkeit.

Bin ich jetzt ein schlechter Mensch? Ein detailverliebter Spießer?

Ich sollte den Papst, Renate Künast oder Jean-Claude van Damme befragen. Die wissen auf beinahe alles eine adäquate Antwort.

16.09.2010

Wieder zurück im anderen Hotel finde ich das gleiche Chaos vor, das ich zurückgelassen habe, die Socken schimmeln, weil Pizza drinsteckt, leere Bierdosen auf dem Nachttisch und das Bett riecht, als hätten sich mehrere Menschen gelichzeitig darin exzessiv ihren Triebesdingen gewidmet!

Was ist da los? Ich kann das sicher nicht gewesen sein, da meine liebste Verflossene durch einen gezielten Tritt in die entsprechende Körperregion alle Möglichkeiten der derartigen Aktivität mittelfristig zunichte gemacht hat.

Ein Glück für meinen Urologen, der jetzt gerade seine dritte Mittelmeerkreuzfahrt macht, dass ich privat versichert bin!

Aber so eine Behandlung habe ich noch nie erfahren müssen! eine frechheit!

naja, in der einen dose ist ja noch was drin.

mal sehn was im fernsehn läuft....